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K

Titel: K
Autoren: T McCarthy
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knittrig kraus wie Crêpe anfühlt, ist in seinem verwandelten, sich verwandelndem Körper. Zwei Kindsmägde treten vor und drapieren eine Girlande um den aus seinem Unterleib aufragenden Mast. Ein Blick hinab verrät ihm, dass die Girlande aus verwelkten, toten Blumen geflochten wurde – und im selben Moment geht ihm auf, dass die Kinder ebenso tot sind, ja, dass das ganze Königreich, über das zu herrschen er und seine Braut gesalbt werden, negativ ist, negativ im strikt photographischen Sinne: eine seitenverkehrte Vorlage, von der man endlos korrekte, seitenrichtige Kopien drucken könnte, die selbst aber nicht dazu gedacht ist, in Umlauf zu gelangen, die zurückbehalten, vor allen Blicken verborgen gehalten wird – eine Tatsache, die diesen Moment der ihm gewährten Offenbarung umso außerordentlicher macht, umso heiliger, fast als wäre ihm plötzlich Zugang zur Dunkelkammer der Geschichte gewährt worden. Chemische Dämpfe wehen in Schwaden über das Podest, als sich der Priester an
Braut und Bräutigam wendet und sie beim Namen nennt. Es sind lange Namen voller Zusammensetzungen: Serge heißt »Ra-Osram-Iris-K4-CQD«, seine Braut »CY-Hep-Sofia-SZGY«. Von hinten drängen Massen nach vorn zur Bühne, stolpern und schlurfen über Quadrate voran, die sich bis in alle Unendlichkeit vervielfältigen, Heerscharen, die festlich mit den Fühlern wedeln. Zeit verflacht im Rückwärtssturz, tickerstreift dahin: Dies ist ein Abschied, eine Abreise, nur ist Serge diesmal im Boot, nicht auf dem Steg…
    Plötzlich durchschneidet ein Pfiff die Luft, eine Reveille, ein Sammelruf. Alles spitzt sich zu, konvergiert: die Geraden, Winkel und Dimensionen des Raumes, die Blicke der Kinder wie auch der Priester, Diener, Journalisten und die des Insektenvolkes. Sie sind nun ausnahmslos auf den Schleier gerichtet, der das Gesicht der Braut verdeckt. Die Musik, ob Gesang oder Psalmodieren, hat aufgehört, auch das Tippen, da man nur noch darauf wartet, dass das Tuch gelüftet wird. Dann ist es so weit, Sophie schlägt die Gaze zurück und schaut Serge an. Sie braucht ihn nicht zu fragen, ob er sie wiedererkennt. Ihr Gesicht ist ausdruckslos – ein merkmalfreies Oval von der Beschaffenheit und gebrochen weißen Farbe eines Durchleuchtungsbildschirms – , was es aus unerfindlichem Grund erst recht wiedererkennbar macht. Es hat Falten, Runzeln und Kerben. Bilder verdrehen und dehnen sich, um, von vertrautem Surren begleitet, darüber hinzuspielen: Körnig, ruckelnd zeigen sie über eine Obstwiese laufende Geschwister, die den akkurat angeordneten Reihen zwischen den Bäumen folgen. Die Bäume selbst – ihre Borke, die Blätter und Früchte – sind von rostroter Farbe, ebenso die Geschwister. Die ganze Szene wirkt flach wie eine Filmeinstellung. Und ohne dadurch weniger flach zu wirken, rotiert sie nun, bis sie von oben, in Draufsicht gezeigt wird. Dann flackert das Bild, verschwimmt und weicht aufs Neue den Kartenkonturen von Sophies ansonsten
inhaltsleerem Gesicht. Das wiederum lässt Serge die Augen senken, sodass sein Blick auf ihre Hände fällt, die über einem Fass vor sich hin faulender Äpfel verharren. Sie wählt einen arg von Würmern zerfressenen aus, oben vom Haufen, und bietet ihn Serge an.
    Ihm ist nicht klar, ob von ihm erwartet wird, dass er den Apfel annimmt. Sophies Gesichtskonturen wandeln sich, formen einen Mund, der sich in gleich ambivalenter Weise öffnet. Erst scheint es, als wolle sie in den Apfel beißen, dann, als wäre Serge es, in den sie ihre Zähne schlagen will. Doch zeigt sich, dass er in beidem irrt. Bald wird klar, dass sich der Mund zum Sprechen öffnet. Sophie wird jenes Wort sagen, das den Höhepunkt der Zeremonie bedeutet, das ihre und seine Salbung besiegelt, ihre Vorherrschaft, ihre Vereinigung – und für die Menge zugleich jene Proklamation bedeutet, die zu hören sie gekommen ist, die sie verwandeln, vereinen und erlösen wird, die alles erlöst. Das Wort wallt auf, weniger in Sophies Lungen und Brustkorb als im Raum selbst, braust darüber hin wie eine riesige Welle und wird im Näherkommen lauter. Dann ist sie da, zerreißt die Luft und schlägt über dem Podest zusammen: ein statisches Rauschen – ein Rauschen, das alle je gesandten Nachrichten enthält, alle je gesprochenen Worte, das alle Zeiten und Orte eint, sie zusammenmalmt und dabei in seine knisternde, dröhnende Masse schlingt, eine Masse, die sich mit der Kraft und im Tempo einer Explosion von galaktischen Ausmaßen
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