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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben
Autoren: Joerg Liemann
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Frau starrte aus dem Fenster. »Keine Ahnung. Es sei denn, er ist den Weg runter.«
    »Kann man da langfahren?«
    Die Geschäftsführerin lachte. »Nein, das ist ein Pfad. Den kann man nur zu Fuß nehmen. Aber den Zug holt man nicht ein. Warten Sie lieber auf den nächsten.«
    »Wohin führt der Weg?«, fragte Pia und zog ihre Jacke über. »Kann ich später zahlen?«
    »Freilich. – Nach Cavaglia. Das ist die nächste Station. Und dort ist auch die Straße. Die führt bei San Carlo auf die Bundesstraße.«
    »Nach Tirano?«
    »Genau. Durchs ganze Val di Poschiavo und dann nach Tirano. – Warum rufen Sie Ihren Mann nicht einfach an?«
    »Weil der Idiot kein Handy dabeihat.« Sie hielt sein Handy hoch.
    Als Pia schon über den Bahnsteig rannte, rief die Geschäftsführerin ihr hinterher: »In der Wolfskabine steht mein Velo!« Die Geschäftsführerin löste einen Schlüssel vom Bund und warf ihn Pia in einer ungeübten Staffelübergabe zu.

62
    Lascheter hatte vor ihr die Scheibe der Wolfskabine eingeschlagen und das Mountainbike der Geschäftsführerin herausgenommen. Pia nahm ein anderes Rad, das an zwei Haken ein gutes Stück über ihr hing und wenig Luft hatte.
    Die Talfahrt war halsbrecherisch, und es schien kein Teil an dem Herrenrad zu geben, das nicht klapperte oder schremmte. Es war auch kein richtiges Mountainbike.
    Einmal hielt sie an, weil Lascheters Kahlkopf durch die Bäume nah vor ihr blitzte.
    In Cavaglia fuhr er auf eine Frau zu, die neben ihrem Auto stand. Irgendwie gelang es ihm blitzschnell, sie dazu zu bringen, ihn mitzunehmen. Allerdings würgte die Frau erst einmal den Wagen ab.
    Pia wechselte das Rad. Lascheter hatte den Sattel des Mountainbikes warm gesessen.
    Der Kerl ist besser trainiert als ich, fluchte sie still und hoffte, den silbernen Kleinwagen nicht aus den Augen zu verlieren. Aber genau das passierte.
    Es ist idiotisch, dachte sie. Mit dem Mountainbike hole ich den Lascheter im Auto nie ein.
    An der Kreuzung zur Bundesstraße war Tirano ausgewiesen. Ein weißer Lkw mit Anhänger kam näher. Pia stellte sich mitten auf die Straße.
    Lichthupe.
    Hupe.
    Bremsen.
    »Spinnst du total, oder was?«
    Sie stieg ein, schloss die Tür und schnallte sich an. »Na, los, weiter! Parkieren auf der Bundesstraße ist untersagt.«
    »Ich nehme keine Anhalter mit.«
    »Ich bin kein Anhalter. Ich bin ein Notfall. Also. Avanti!«
    Er sah in den Rückspiegel, löste die Bremsen und arbeitete an den Gängen. Dann gab er Gas. »Beinahe hätt’s einen Auffahrunfall gegeben.«
    »Wir folgen einem silbernen Kleinwagen.«
    »Was tun wir?«
    »Und wir müssen schneller sein als er, er sitzt nämlich ein ganzes Stück vor uns, und wir müssen ihn einholen.«
    »Junge Dame, ich halte am nächsten Rastplatz.«
    Pia schaltete um auf kleines Mädchen. »Och nein! Bitte!«
    »Worum geht’s denn überhaupt?«
    »In dem Auto sitzt mein Mann. Mit einer Frau. Die will ihn ausspannen. Glaubt, dass ich es nicht merke.«
    Er riskierte einen Seitenblick. Sah sie von oben bis zur Taille und nach einem Zwischenblick auf die Straße noch mal von der Taille abwärts an. Ohne etwas zu sagen, erhöhte er das Tempo, und zwar deutlich.
    Es ging spürbar bergab, und Pia grinste.
    Erst in Poschiavo drosselte der Lkw-Fahrer das Tempo. In der Höhe von Le Prese rief Pia: »Da vorne!«
    »Ich weiß nicht, ein Wettrennen kann ich mir nicht leisten.«
    »Ist auch nicht nötig. Ihn einfach nicht aus den Augen verlieren, das reicht schon.«
    Pia deutete auf eine Leuchttafel, die an einem Haus angebracht war – ein dreieckiges Warnschild mit den Wörtern
Binari   – Geleise
. Sie zeigte auf die in den Asphalt eingelassenen, im Laternenlicht glitzernden Schienen. »Ist das die Bahn nach Tirano?«
    »Ja, vorn am See verlässt sie die Straße wieder. Ich fahr die Strecke öfter.« Er kurbelte das Fenster zur Hälfte hinunter. »Machen Sie das auch mal, Mädchen! Hier können Sie Italien schon riechen.«
    Pia kurbelte und hielt das Gesicht in den Fahrtwind. Dann zog eines der Grundstücke ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Hab ich da im Laternenlicht wirklich eine Palme gesehen?«
    Er lachte. »Eingetopft wahrscheinlich. Aber warum nicht? Hier wachsen auch Aprikosen.« Er sah sie ein paar Mal etwas eindringlicher an. »Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Mann zurückhaben wollen?« Er grinste. »Ich meine   … Für ’ne Woche Bella Italia würde ich glatt mit Ihnen blaumachen.«
    »So? Na, das lassen Sie mal nicht Ihre Frau hören«, flötete
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