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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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Falk und wirkte noch ausgezehrter als bisher. »Ich laufe schon seit Monaten vor ihnen davon. Aber ihr fünf könntet bleiben und euch wehren, schätze ich. Das ist schon sonderbar …« Er blickte Gull an und begann zu flüstern. Ich glaube zwar nicht, dass Gull ihm zuhörte, aber das ließ sich nur schwer sagen. »Die Heiden sehen fast so aus wie ihr – das helle Haar. Er musste einiges aushalten – Gull, meine ich –, denn unsere Seite sagte, er war ein Heiden-Wechselbalg und bringt Unglück, und als die Heiden ihn fingen, dachten sie, er wär einer von ihnen.« Wir alle starrten Gull ungläubig an. »Habt Nachsicht mit ihm«, bat Onkel Falk. »Wie ihr seht, haben sie ihn zurückgegeben – das ist in den Schwarzen Bergen passiert –, aber danach war er nicht mehr er selbst. Unsere Männer sagten, er würde die Zauber der Heiden ins Lager tragen, und wenn euer Vater nicht gewesen wäre, hätten sie ihn vielleicht getötet.«
    »Wie schrecklich!«, rief Robin mit sehr schriller Stimme; es hörte sich an wie ein Niesen oder eine Explosion.
    »Das ist wahr«, räumte Onkel Falk ein. »Aber wir hatten auch gute Zeiten.« Zurückgelehnt erzählte er uns eine Weile Witze über Leute, die wir nicht kannten, und Dinge, die wir nicht begriffen, weil sie mit dem Kämpfen zusammenhingen. Ich bin mir sicher, dass er uns damit aufmuntern wollte. »Allein deswegen habe ich den Verstand nicht verloren«, sagte er. »Weil ich allem etwas Lustiges abgewinnen kann. Jetzt mache ich mich wohl besser auf den Weg zu Zara.« Er stand auf und hinkte davon. Mit seinem Benehmen gab er nicht zu erkennen, dass er sich auf das Wiedersehen mit meiner Tante freute. An seiner Stelle wäre es mir nicht anders ergangen.
    Robin räumte die Tassen ab. Immerfort blickte sie Gull an, und Gull saß einfach nur da. »Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll«, flüsterte sie mir zu.
    Ich ging nach draußen, obwohl der Strom noch immer stank. Ich hoffte, ich könnte weinen. Im Boot, das im Schlamm vor der Uferböschung lag, saß aber schon Hern, und er weinte.
    »Überleg doch nur, was mit Gull passiert ist!«, rief er mir zu. »Tot wäre er besser dran. Wenn ich doch nur dem Heer gefolgt wäre.«
    »Was hätte das denn genutzt?«, fragte ich.
    »Begreifst du es nicht?« Hern sprang so abrupt auf, dass das Boot im Schlamm schmatzte. »Gull hatte niemanden, mit dem er reden konnte. Darum ist er so geworden. Warum war ich bloß so feige?«
    »Du hast bei den Unvergänglichen geschworen«, erinnerte ich ihn.
    »Ach was!«, rief Hern grimmig und verächtlich. Das Boot schwankte hin und her. »Und ich habe geschworen, die Heiden zu bekämpfen. Ich könnte alles Mögliche beschwören, und es würde überhaupt nichts nützen. Ich wünschte nur …«
    »Halt mal still«, unterbrach ich ihn. Plötzlich kam es mir vor, als würde das Schmatzen um das Boot herum nicht nur durch Herns wütende Bewegungen verursacht. Hern bemerkte es ebenfalls. Mit tränenüberströmtem Gesicht erstarrte er in kerzengerader Haltung und sah mich an. Wir spürten beide die leichte Erschütterung, die am Stromufer entlanglief. Der Schlamm gluckste leise, und ein schwaches, leises Plätschern durchlief das seichte grüne Wasser. An beiden Ufern erstreckten sich mehrere Schritt breite Schlammfelder, doch in einer Weise, die ich nicht zu beschreiben weiß, erschien uns beiden der Strom mit einem Mal verändert. Die Bäume am anderen Ufer schüttelten sich, reckten sich; sie schienen etwas zu erwarten.
    »Das Hochwasser kommt«, sagte Hern.
    Wenn man am Strom geboren ist, dann kennt man ihn. »Ja«, sagte ich, »und dies Mal wird es gewaltig sein.«
    Bevor ich noch mehr sagen konnte, öffnete sich mit einem Krachen die Hintertür, und Gull trat heraus. Er taumelte und befühlte den Türrahmen; er schien nicht ganz zu wissen, wo er war.
    »Der Strom«, sagte er. »Ich habe den Strom gespürt.« Er stolperte zum Ufer. Ich streckte beide Arme aus, um ihn aufzufangen, denn es sah ganz so aus, als würde er einfach über die Böschung hinausmarschieren. Doch er blieb am Ufer stehen. Er schwankte leicht hin und her. »Ich kann es hören«, sagte er. »Ich habe davon geträumt. Das Hochwasser kommt.« Er begann völlig lautlos zu weinen, wie auch Robin manchmal weint. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
    Ich schaute Hern an, und Hern erwiderte meinen Blick. Wir wussten beide nicht, was wir tun sollten. Robin beendete unsere Unsicherheit, indem sie aus der Hintertür schoss und Gull mit
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