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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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bevor ich wieder einschlafen konnte. Ich musste letztendlich zu Robin ins Bett kriechen, so sehr fror ich.
    Nach allem, was Onkel Falk später sagte, war das die Nacht, in der mein Vater starb. Wirklich sicher sein kann man sich zwar nicht, aber ich glaube es trotzdem. Eigentlich möchte ich gar nicht davon erzählen.
    Noch vor dieser Nacht aber brach die schreckliche Seuche über uns herein. Fast jeder in Iglingen wurde krank, und einige kleine Kinder starben an ihr. Der Strom roch sehr schlecht. Sogar Hern gab zu, dass diese Krankheit vielleicht aus dem Strom gekommen sein könnte. Es war viel zu warm für diese Jahreszeit, und der Strom führte wenig Wasser mit sich. Er floss träge dahin und das Wasser hatte eine seltsam hellgrüne Farbe. Den Gestank bekamen wir einfach nicht aus dem Haus. Robin verbrannte in einer Ecke des Herdes Gewürznelken, um ihn zu überdecken. Wir erkrankten zwar alle, aber nicht allzu schwer. Als es uns besser ging, gingen Robin und ich zu Tante Zara, um zu sehen, ob sie auch krank war. Wir hatten sie seit Tagen nicht mehr in ihrem Garten gesehen.
    Sie war krank, aber sie wollte uns trotzdem nicht zu sich ins Haus lassen. »Haltet euch von mir fern!«, kreischte sie durch die Tür. »Ich will keinen von euch in meiner Nähe haben!«
    Robin zeigte große Geduld, weil Tante Zara krank war. »Tante, sei nicht so albern«, sagte sie. »Warum willst du uns nicht reinlassen?«
    »Seht euch doch nur an!«, schrie meine Tante.
    Robin und ich tauschten einen überraschten Blick. Robin hatte gerade für diesen Besuch sehr auf unser Aussehen geachtet, zum Teil, weil sie mit jedem Jahr, das vergeht, pingeliger wird, zum Teil aber auch, um Tante Zara zufrieden zu stellen, die noch viel pingeliger ist als meine Schwester. Wir hatten beide unsere neuen Wintermäntel an, in die ich zur Erinnerung an die Königsboten scharlachrote Bänder mit dem Motto ›Kämpft für den König‹ eingewoben hatte. Ansonsten zeigten die Mäntel ein Muster aus schönen Braun-und Blautönen, das uns beiden gut stand. Mir tat noch immer der Kopf weh, so fest hatte Robin mich gekämmt, und ich wusste genau, dass mein Haar ordentlich war und nicht, wie sonst üblich, wie weißes Gestrüpp aussah. Robin hat noch seidigeres Haar als ich, auch wenn es genauso lockig ist. Sie hatte erbittert damit gekämpft und es zu wunderschönen Zöpfen geflochten, die ihr wie gelbe Seile auf die Schultern hingen. Wir verstanden nicht, was an uns falsch sein sollte.
    Während wir uns noch anstarrten, zeterte meine Tante weiter. »Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben! Ich enterbe euch! Ihr seid nicht von meinem Fleisch und Blut!«
    »Tante Zara«, sagte Robin begütigend, »unser Vater ist dein Bruder!«
    »Ihn hasse ich auch!«, schrie meine Tante. »Er hat euch auf uns losgelassen! Ich will mir nicht vom ganzen Dorf sagen lassen, dass es meine Schuld ist. Verschwindet von meinem Hof!«
    Ich sah, wie Robin erst rot und dann weiß im Gesicht wurde. Ihr Kinn wurde ganz spitz. »Komm mit, Tanaqui«, sagte sie. »Wir gehen wieder nach Hause.« Und damit stolzierte sie davon. Ich musste mich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten, und erwartete, dass sie weinen würde, aber ich täuschte mich. Sie sprach nie wieder von Tante Zara. Ich schon – ich erzählte Hern ein wenig, als er mich fragte, was geschehen sei.
    »Sie war sowieso schon immer eine selbstsüchtige alte Vettel«, entgegnete er darauf.
    Tante Zara genas von der Krankheit, aber sie behandelte uns wie Luft, und wir hielten uns von ihr fern.
    Der Winter dauerte an. Das Frühjahrhochwasser ließ lange auf sich warten. Wir sehnten es inbrünstig herbei, damit es den Gestank des Stroms davonwusch. Ich hatte einen besonderen Grund, dem Hochwasser entgegenzufiebern. Nach meinem Traum machte ich mir große Sorgen um meinen Vater, aber ich verbarg meine Ängste in einem neuen Tagtraum: dass er mit dem Hochwasser nach Hause käme, bevor der Eine ins Feuer müsste, und dass dann alles gut werden würde. Doch während das Hochwasser ausblieb, kamen endlich Männer aus Iglingen vom Krieg ins Dorf zurück. Davon möchte ich eigentlich gar nichts erzählen. Nur jeder Zweite kehrte ins Dorf zurück, und von ihnen war jeder ausgemergelt und krank vor Erschöpfung. Weder mein Vater noch Gull waren unter den Heimkehrern, und keiner von ihnen wollte mit uns auch nur ein Wort reden. Alle sahen uns nur grimmig an.
    »Was sollen wir denn jetzt schon wieder angerichtet haben?«, wollte Hern
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