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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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Hochzeiten. Es ist Sitte, dass die Brautfamilie einen prächtigen Wollmantel mit eingewobenen Geschichten und Gedichten kauft, den das Mädchen dem jungen Mann schenkt, den sie heiraten wird. In diesem Winter aber waren die Männer fort, und es gab keine Hochzeiten. Und nachdem wir den Strom überquert hatten, kaufte mir niemand mehr noch irgendetwas ab.
    Weil das Hochwasser uns so gut wie gar kein Treibholz gebracht hatte, ruderten wir, als das Laub zu fallen begann, ans andere Ufer des Stroms, um dort im Wald Holz zu schlagen. Außer uns überquert niemand in Iglingen den Strom. Einmal habe ich Tante Zara nach dem Grund dafür gefragt, und sie antwortete, die alte Mühle und der Wald ringsum seien vom Strom verflucht worden; ein verwunschener Geist spuke dort in Gestalt einer Frau. Darum sei die neue Mühle bachaufwärts errichtet worden. Als ich meinem Vater davon erzählte, lachte er und sagte, ich solle auf solchen Unsinn nichts geben. Mir bereitet es großes Vergnügen, in diesem Moment webend in eben jener alten Mühle am verwunschenen Wald zu sitzen, ohne dass mir etwas geschieht. Was sagst du dazu, Tante Zara!
    Der Tag, an dem wir Holz schlugen, erstrahlte im satten Licht des Spätherbstes. Uns war es, als hätten wir einen Feiertag. Wir unterbrachen die Stille unter den Bäumen, indem wir jauchzend umherliefen, fallende Blätter fingen und Tig spielten. Trotz aller Einwände Robins glaube ich nicht, dass sich irgendein Geist durch uns gestört fühlte. Außerdem rannte und jauchzte sie sowieso mit uns. An diesem Tag ähnelte sie viel mehr der Robin, an die ich mich erinnere, bevor sie erwachsen und furchtbar schüchtern und verantwortungsbewusst geworden war. Zum Mittagessen setzten wir uns am alten Mühlteich auf die Wiese, und danach begannen wir endlich Holz zu schlagen. Als der Strom in der Dämmerung verblasste, ruderten wir zurück. Wir hatten so viel Holz im Boot aufgetürmt, dass es ganz tief im Wasser lag und wir furchtbar still sitzen mussten, damit es nicht voll lief. Mein Haar sah jetzt wirklich wie Gestrüpp aus. Es war voller Zweige und Blätter. Ich war wirklich sehr glücklich.
    Am nächsten Tag kamen Zwitt und einige der älteren Leute mit sauren Gesichtern zu uns. Sie sagten, wir dürften fortan unsere Kuh nicht mehr mit den anderen auf der Weide grasen lassen. »Wir vergeben keine Weiderechte an gottlose Menschen«, sagte Zwitt.
    »Wer ist hier gottlos?«, fragte Entchen.
    »Der Strom hat den Menschen verboten, zur Mühle zu gehen«, entgegnete Zwitt. »Ihr aber wart gestern den ganzen Tag dort. Wenn ihr älter wärt, würde der Strom euch schlimmer für eure Missetat strafen.«
    »Uns bestraft ja nicht der Strom, sondern du«, erwiderte Entchen.
    Hern sagte: »Meinen Vater hast du nicht bestraft, obwohl er die Fremden auf die andere Seite gerudert hat.«
    »Woher weißt du eigentlich, dass wir dort waren?«, fragte ich.
    »Zara hat es mir berichtet«, antwortete Zwitt. »Und hütet eure Zunge, wenn ihr mit mir redet, während euer Vater fort ist. Frechheiten lasse ich mir nicht bieten.«
    Nachdem sie wieder gegangen waren, rang Robin die Hände. Von all ihren damenhaften Angewohnheiten ist das die neuste; uns verriet es, dass sie zutiefst bestürzt sein musste. »Ach je! Vielleicht sind die Geister dort drüben doch böse auf uns. Was meint ihr, haben wir den Strom wirklich beleidigt?«
    Davon wollten wir nichts hören. Wir achten den Strom selbstverständlich, aber er ist kein Unvergänglicher, und im Gegensatz zu Zwitt glauben wir nicht, dass sich allerorten Geister herumtreiben und von jedem falschen Schritt erzürnen lassen. Ich sagte zu Robin, sie würde genauso ein freudloser Erwachsener werden wie Zwitt. Hern sagte, ihm leuchte es keineswegs ein, wieso ein Fluss überhaupt je beleidigt sein könnte.
    »Und falls der Strom doch beleidigt ist, dann sollte er uns bestrafen, aber nicht Zwitt«, bemerkte Entchen.
    »Ich meinte doch nur, dass er beleidigt sein könnte«, entgegnete Robin.
    Als wir mit dem Streiten fertig waren, sagte Hern: »Es klang, als hätte Zwitt Angst vor meinem Vater.«
    »Wenn er doch nur bald wiederkäme!«, rief ich.
    Doch die Monate verstrichen, ohne dass irgendjemand zurückkehrte. Wir sahen uns währenddessen gezwungen, unsere Kuh gleich neben unserem Haus am Flussufer grasen zu lassen, und wir glauben, dass sie deshalb nicht die Viehseuche bekam, an der alle anderen Kühe erkrankten. Hern ist sich dessen ganz sicher. In diesem Winter kam sehr viel Nebel
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