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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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den Balken hinter der Tapete.
    Joel versuchte es zu begreifen. Samuel war unheilbar krank. Die Leber. Aber er glaubte, er könnte trotzdem weiterleben. Er schien auch keine Angst zu haben. Wenn man sterben muss, musste Angst da sein. Anders konnte Joel es sich nicht vorstellen.
    Er lauschte, ob Samuel schon schnarchte. Aber es war still. Samuel hat dasselbe geträumt wie ich, dachte Joel. Dass das Haus ein Schiff ist. Die Vertäuung wird gelöst und das Haus treibt den Fluss entlang zum Meer. Diese Wohnung ist eine Kommandobrücke. Kapitän Samuel Gustafson. Erster Steuermann Joel Gustafson. Vater und Sohn, die ein Schiff durch die schlimmsten Orkane steuern können.
    Der Gedanke gefiel Joel ausnehmend gut, dass Samuel und er dasselbe geträumt und diesen windschiefen Schuppen in ein Schiff verwandelt hatten.
    Joel stand auf und schlich in die Küche. Samuel hatte das Licht ausgeknipst. Seine Tür war angelehnt, genau wie Joel sie verlassen hatte. Immer noch schnarchte Samuel nicht. Aber Joel konnte hören, dass er schlief. Die Atemzüge dort drinnen in der Dunkelheit waren schwer und tief.
    Joel setzte sich in die Fensternische. Er hatte kaum noch Platz darin. Die Straßenlaterne beleuchtete die leere Straße. Es waren minus 32 Grad. Joel fröstelte. Dachte an Liberia. Und an das Mädchen, das ihm nachgewinkt hatte.
    Ohne es zu merken, schlief er ein. Als er von einem Krampf im einen Bein aufwachte, wusste er nicht, wo er war. Dann fiel es ihm ein. Und jetzt hörte er auch Samuels Schnarchen.
    Ich muss herausbekommen, ob man mit einer unheilbar kranken Leber leben kann, dachte Joel. Das ist das Wichtigste.
    Als Joel am Morgen aufwachte, hörte er Samuel in der Küche klappern. Samuel stand am Herd und kochte Grütze. Aber er hatte sich nicht angezogen. Trug nur seinen alten Morgenmantel über dem Schlafanzug.
    »Kaltes Wasser in den Topf«, sagte er und lächelte. Joel konnte plötzlich nicht glauben, dass Samuel eine gefährliche Krankheit hatte. Vielleicht war sie unheilbar. Aber gefährlich?
    Nach dem Frühstück wollte Samuel wissen, was Joel in seinen ersten Monaten als Seemann erlebt hatte. »Das dauert zu lange«, sagte Joel. »Ich hab einiges zu erledigen.«
    Als er nach draußen kam, war es immer noch sehr kalt. Er ging in Richtung Krankenhaus. Jetzt waren mehr Menschen unterwegs, doch er sah sie nicht. Er drückte sein Kinn in die Jacke und ging so schnell, wie er konnte. Aber plötzlich blieb er stehen. Was wollte er eigentlich im Krankenhaus? Es gab eine leichtere Möglichkeit herauszufinden, was die Leber eigentlich war. Er drehte auf der Stelle um, ging in die entgegengesetzte Richtung und blieb erst stehen, als er die Schlachterei erreicht hatte, die am Rand des Ortes lag. Im Sommer vor einem Jahr war er dort Laufbursche gewesen und kannte den Chef und auch mehrere Schlachter. Er stampfte sich den Schnee von den Schuhen und betrat das Büro. Der Chef hieß Herbert Lundgren und hatte Pickel im Gesicht, obwohl er schon fast sechzig war. Er trug eine weiße Jacke und eine Schirmmütze.
    »Joel?«, sagte er. »Ich hab gehört, du bist zur See gegangen?«
    »Das stimmt. Ich bin nur zu Besuch zu Hause.« Herbert Lundgren runzelte die Stirn.
    »Ich hab auch gehört, dass Samuel krank war. Wie geht es ihm?«
    »Gut. Aber deswegen komme ich. Ich möchte wissen, was eine Leber ist.«
    »Eine Leber?«
    »Wo sie sitzt und wozu sie gut ist.«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Samuels Leber ist unheilbar krank.«
    Herbert Lundgren sagte nichts.
    »Aber Samuel glaubt, er kann trotzdem leben.«
    »Vielleicht kann man das«, sagte Herbert Lundgren langsam. »Ich bin ja kein Arzt. Ich weiß das nicht so genau.« »Wo sitzt die Leber?«
    Herbert Lundgren zeigte auf die eine Seite seines Bauches. »Das wollte ich nur wissen.«
    Joel setzte sich die Mütze auf und wickelte sich den Schal ums Gesicht.
    »Aber da ist etwas, das musst du verstehen«, sagte Herbert Lundgren.
    Joel sah ihn an. »Was?«
    »Ach, es ist nichts. Nichts.«
    Joel verließ die Schlachterei.Es fing an hell zu werden. Die Sonne war genau oberhalb der Waldketten, die sich um den Ort schlängelten. Er überlegte, was Herbert Lundgren hatte sagen wollen. Samuel wird es schon schaffen, dachte er. Es braucht mehr, um einen alten Seemann wie Samuel Gustafson zu fällen.
    Er ging zu Ehnströms Lebensmittelladen und kaufte ein. Frau Ehnström stand hinter dem Tresen.
    »Joel«, sagte sie. »Ich dachte, du fährst zur See?«
    »Ich bin nur zu Besuch da.
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