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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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einen Brief bekommen«, sagte er langsam, als ob ihn jedes Wort anstrengte.
    »Was hat drin gestanden?«
    »Dass die Ergebnisse nicht ganz in Ordnung sind. Die von der Untersuchung. Sie schrieben, ich soll ins Krankenhaus gehen und den Brief zeigen. Das hab ich getan. Ich hab ihn dem Oberarzt gezeigt. Er sagte, es sei Krebs. Aber das Wort hat er nicht benutzt. Cancer, hat er gesagt. In der Leber. Und dass es unheilbar ist.«
    In Joels Kopf hämmerte es. Samuel wird sterben. Jetzt zitterte er nicht mehr. Ihm war eiskalt. »Es ist unheilbar«, wiederholte Samuel. »Jetzt liege ich also hier. Ich kann nicht mehr arbeiten. Ich liege nur noch.« Joel wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Und wer kauft für dich ein?«, fragte er schließlich. »Sara hat jemanden gefunden, der für mich einkauft, was ich brauche. Und jeden zweiten Tag kommt eine Krankenschwester. Aber ich muss wohl bald ins Krankenhaus.« »Hast du Schmerzen?« »Nicht sehr. Nicht wie in Stockholm.«
    Samuel zog seine mageren Hände unter der Decke hervor und zeigte auf alle Döschen und Flaschen.
    »Es gibt gute Medikamente. Die helfen gegen alles.«
    »Aber du hast doch gesagt, es ist unheilbar?«
    »Ich meine, gegen Schmerzen.«
    »Was haben sie sonst noch gesagt?«
    »Da gibt's nicht mehr viel zu sagen. Wenn es unheilbar ist, ist es eben so.«
    »Wirst du sterben?«
    Seine eigenen Worte ließen Joel zusammenzucken. Aber merkwürdigerweise fing Samuel an zu lachen. »Ich sterbe nicht«, sagte er. »Jedenfalls nicht, solange du zu Hause bist. Man kann auch mit etwas Unheilbarem leben. Ich finde tatsächlich, dass ich mich in den letzten Tagen besser fühle. Vielleicht geht es vorbei, obwohl es unheilbar sein soll.« »Ja«, sagte Joel.
    »Himmel«, fuhr Samuel fort, »es gibt Leute, die ohne Arme und Beine leben. Da kann ich ja wohl zum Teufel ohne Leber leben. Glaubst du nicht?«
    Was wollte Samuel hören? Oder war er davon überzeugt, dass er Recht hatte? Joel wusste es nicht. Deswegen nickte er nur. Er gab Samuel Recht, egal, was er dachte. Mit Anstrengung richtete Samuel sich auf. »Irgendwas zu essen muss da sein«, sagte er. »Ich hab keinen Hunger.«
    »Aber willst du keinen Kaffee? Und dann möchte ich hören, was du alles erlebt hast.«
    »Das hat Zeit bis morgen.«
    Samuel ließ sich zurück in die Kissen sinken.
    »Du hast Recht«, sagte er. »Das kann warten. Ich bin wohl ein wenig müde.«
    »Möchtest du was haben?«
    Samuel schaute zu seinem Wasserglas.
    »Wasser. Sonst nichts.«
    Joel nahm das Glas und ging in die Küche. Vielleicht konnte man ohne Leber leben? Joel wusste nicht, wozu man überhaupt eine Leber hatte. Und wo saß sie? Irgendwo im Bauch?
    Nachdem er Samuel das Wasser gebracht hatte, ging er wieder in die Küche und packte die Trommel aus. Sie war nicht groß. Ein ausgehöhltes Stück Holz, mit brauner Haut bespannt.
    Samuel setzte sich die Brille auf und betrachtete sie genau. »Die ist schön«, sagte er.
    Vorsichtig trommelte er mit den Fingern auf der Haut. »Guter Klang«, sagte er. »Eine richtige Trommel.« Joel fragte sich, warum er sie gekauft hatte. Warum schenkte er Samuel eigentlich eine Trommel? Hätte er nicht etwas Besseres finden können?
    »Vielleicht kann man es lernen«, sagte Samuel. »Ich werde noch Trommler auf meine alten Tage.«
    »Eigentlich wollte ich dir ein Affenfell kaufen«, sagte Joel. »Aber ich hatte nicht so viel Zeit an Land.«
    »Eine Trommel ist gut«, sagte Samuel. »Ich hab mir schon immer eine afrikanische Trommel gewünscht.«
    Joel wusste, dass es nicht stimmte. Es war Samuels Art, sich zu bedanken. Joel stellte die Trommel auf den Fußboden.
    »Morgen will ich alles wissen«, sagte Samuel. »Aber ich glaub, jetzt muss ich schlafen. All die Medikamente machen mich so müde.«
    »Wir reden morgen«, sagte Joel.
    »Ich liege hier und denke«, sagte Samuel. »Wenn ich nicht schlafen kann, dann ist das Haus wie ein Schiff. Und ich höre, wie der Anker hochgezogen wird und das Haus aus dem Hafen gleitet.« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal ist man ganz schön kindisch.« Joel stand auf. »Hoffentlich kannst du schlafen.«
    »Ich freu mich, dass du gekommen bist. Morgen reden wir weiter.«
    »Wir reden morgen.«
    Joel ging in sein Zimmer.
    Alles war da. Das Bett, der Tisch, der Stuhl, der Wecker, die Gardine. Genau wie er das Zimmer verlassen hatte. Er hatte ein Gefühl, als sei das schon sehr lange her. Er legte sich aufs Bett. An seinem Kopf knackte es in der Wand. Die Kälte sang in
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