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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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es. Er ging zurück ans Ufer. Noch einmal drehte er sich um und sah zum Himmel hinauf.
    Irgendwo da oben gab es den Hund. Er schwebte auf seinen unsichtbaren Flügeln.
    Joel nahm seinen Koffer und den Seesack und ging durch den verlassenen Ort. Überall war es dunkel. Der Wartesaal im Bahnhof war immer noch abgeschlossen. Er stellte den Koffer hinter eine Abfalltonne und ging auf das Gleis hinaus. Stellte sich zwischen die Schienen und schaute nach Süden. Jetzt hatte er es eilig. Eben noch hatte er die Zeit anhalten wollen. Jetzt ging es viel zu langsam. Er hatte es eilig wegzukommen.
    Schließlich wurde der Wartesaal geöffnet. Joel ging hinein und setzte sich. Spürte, wie die Wärme in seinen Körper zurückkehrte. Er vergewisserte sich, dass seine Fahrkarte und das Seefahrtsbuch noch in seiner Jackeninnentasche steckten. Sein Geld hatte er in der Hosentasche. Achtzig Kronen. Ein alter Mann mit Rucksack kam in den Wartesaal und setzte sich. Er nickte Joel zu. »Willst du verreisen?«, fragte er.
    Joel murmelte eine unverständliche Antwort. Im Augenblick hatte er keine Lust mit jemandem zu reden.
    »Ich will ganz nach Orsa«, sagte der alte Mann. »Ich fahre noch weiter«, antwortete Joel. »Willst du nach Mora?« »Ich reise ans Ende der Welt«, sagte Joel. Der alte Mann schaute ihn nachdenklich an.
    Joel stand auf und sah auf die Karte an der Wand. Dort lag Göteborg. Dort war der Hafen. Und die Werft. Und das Schiff, das auf ihn wartete.
    Der Zug kam. Die Lokomotive schnaubte und seufzte. Joel schaute sich auf dem Bahnsteig um, bevor er einstieg. Aber natürlich war da niemand, der ihm nachwinken würde.
    Nur Samuels Schatten. Der stand dort und nickte ihm zu und flüsterte: »Fahre!«
    Als der Zug über die Eisenbahnbrücke rollte, sah Joel sein eigenes Spiegelbild in der vereisten Fensterscheibe.
    Jetzt war er unterwegs. Endlich unterwegs. Fort. Nach Pitcairn Island. Ans Ende der Welt.
    Drei Tage später, kurz bevor es zu dämmern begann, verließ der Frachter
Rio de Janeiro
die Göteborger Werft. Joel wurde in seiner Kajüte wach vom Vibrieren der Motoren. Es war im späten Winter 1960.
    Während der kommenden Jahre heuerte Joel auf verschiedenen Schiffen an. Anfang 1963, einige Tage bevor er achtzehn wurde, arbeitete er auf einem kleinen Frachter, der auf Pitcairn Island anlegte.
    Von dort nahm er sich eine Nuss von einer Kokospalme mit.
    Anfang Dezember desselben Jahres kehrte er nach Schweden zurück und unternahm die lange Reise in den Ort hoch oben im Norden.
    Am Abend des 4. Dezember stieg er aus dem Zug. Er ging geradewegs zum Friedhof. Er schob den Schnee beiseite und legte die Kokosnuss auf die gefrorene Erde über Samuels Grab. Da er nicht wusste, ob sie das überstehen würde, streute er einige Palmenblätter darum herum, die er von Pitcairn Island mitgebracht hatte.
    Am nächsten Tag verließ Joel den Ort. Die Nacht hatte er in einer Pension verbracht. Gertrud in ihrem Haus auf der anderen Seite des Flusses besuchte er nicht.
    Auch diesmal war niemand da, der ihm am Bahnhof nachwinkte, als er abfuhr.
    Seine Kindheit war vorbei.
    Joel hatte die lange Reise hinaus angetreten.
    Und irgendwo über seinem Kopf schwebte für immer ein Hund auf seinen unsichtbaren Flügeln.
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