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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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und koche. Ich bin meine eigene Mama. Aber mir bleibt auch eine Menge Genörgel erspart. Wenn ich will, dass jemand nörgelt, dann tu ich es selber.« Sie sah plötzlich ernst aus.
    »Ich frage nur, weil ich neugierig bin«, sagte sie. »Das ist einer meiner großen Fehler. Ich bin viel zu neugierig.« »Das bin ich auch«, sagte Joel. »Aber ich finde das nicht falsch.«
    Sie drückte die Zigarette aus. Joel schaute auf ihre roten Lippen. Ihm wurde heiß. Wenn diese Lippen ihm Küssen beibringen könnten. Das wäre was anderes als mit dem Windhund.
    »Ich hab Tee gekocht«, sagte sie und stand auf. »Möchtest du welchen?«
    »Ja, danke«, antwortete Joel.
    Er fand Tee abscheulich. Davon musste er nur pinkeln. Aber jetzt hatte Sonja Mattsson ihn eingeladen. Da konnte er doch nicht nein sagen.
    Sie kam mit Tassen und einer Teekanne ins Zimmer. Joel probierte. Es schmeckte nicht gut. Aber er trank. »Erzähl, was passiert ist«, sagte sie, »draußen im Schnee.« Joel erzählte. Wie er Simon gefunden und zur Hütte geschleppt hatte. Da sie alles nachprüfen zu können schien, wagte er nicht zu übertreiben. Obwohl er natürlich Lust dazu hatte.
    »Du musst stark sein«, sagte sie. »Und ausdauernd.« »Und wie«, antwortete Joel. »Man tut, was man kann.« Sie stellte die Teetasse hin und zündete sich eine neue Zigarette an. »Rauchst du?«, fragte sie.
    Fast hätte Joel mit Ja geantwortet. Aber er konnte sich gerade noch bremsen. Zündete er sich eine Zigarette an, würde er sofort anfangen zu husten. Er schüttelte den Kopf. »Jetzt darfst du mich fragen«, sagte sie. »Zwei Fragen, keine mehr.«
    Joel überlegte. Zwei Fragen waren nicht viel. Er musste gut nachdenken. Aber was wollte er eigentlich wissen? »Warum bist du hierher gekommen?«, fragte er. Darauf wollte er am liebsten eine Antwort haben. Wie konnte jemand, der in Stockholm lebte, freiwillig in ein Nest wie dieses ziehen?
    »Ich musste weg«, sagte sie. »Dies und das war mir zu viel geworden.«
    Joel merkte, dass sie sich veränderte. Ihr Gesicht wurde ernst. Er überlegte, ob er etwas Unangebrachtes gefragt hatte.
    »Es wurde ein bisschen zu viel mit den Männern«, fuhr sie fort. »Und manche ließen mich nicht in Frieden. Darum bin ich hergekommen. Wie lange ich bleibe, weiß ich nicht. Wir werden sehen. Wie es mir gefällt. Wie es mir geht. Und was passiert. Und ob ich den Winter ertrage.«
    Joel versuchte zu verstehen, was sie gesagt hatte. Zu viele Männer? Was meinte sie damit? Und dass man sie nicht in Frieden gelassen hatte?
    Die nächste Frage war die letzte. Joel zögerte nicht. Er war neugierig und er konnte es nicht bestreiten, er war auch eifersüchtig.
    »Mit wem warst du neulich im Kino?«
    Ihre Hand mit der Teetasse, die sie gerade zum Mund führen wollte, hielt auf halbem Weg inne.
    »Woher weißt du, dass ich im Kino war?«
    »Ich war auch da«, sagte Joel. »Aber der Film war nicht gut.«
    »Der war für Jugendliche nicht zugelassen«, sagte sie. »Und du bist noch keine fünfzehn.«
    »Ich komm durch eine Geheimtür rein«, sagte Joel. Sie stellte die Tasse auf die Untertasse.
    »Jetzt lügst du«, sagte sie. Zum ersten Mal schien sie böse zu sein.
    »Das stimmt aber«, sagte Joel.
    »Wie ist der Film ausgegangen?«, fragte sie scharf.
    »Ich weiß nicht.«
    »Also lügst du doch!«
    »Ich musste kurz vorm Schluss gehen. Sonst merkt Engman, dass man sich reingeschlichen hat. Wenn man noch da ist, wenn das Licht angeht.«
    »Wer ist Engman?«
    »Der Kinoaufseher.«
    »Ich glaub dir nicht. Du warst nicht da.«
    »Ich kann dir erzählen, was fünf Minuten vor Schluss passiert ist.« Die Wörter sprudelten aus seinem Mund. Er redete und redete, bis sie ihm glaubte. Er erzählte den ganzen Film rückwärts. Er erzählte von der Kellertür. Das Einzige, wovon er nicht erzählte, das war vom Windhund. Sie lächelte plötzlich wieder. Sie glaubte ihm.
    »Dann waren wir also beide gleichzeitig im Kino«, sagte sie. »Und du willst wissen, mit wem ich da war?« »Wer hat deine Hand gehalten?«
    Zu seiner eigenen Verwunderung hörte Joel, dass seine Stimme wütend klang. Und sie hatte es gemerkt. »Das bleibt mein Geheimnis«, antwortete sie. »Er durfte meine Hand halten. Aber nicht mehr.«
    »Du hast doch keine Schleier für ihn angezogen?«
    Am liebsten hätte Joel sich die Zunge abgebissen. Aber es war schon zu spät. Er konnte die Wörter nicht zurück in den Mund holen. Die saßen nicht irgendwo hinten an Fäden befestigt. Joel hatte
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