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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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schnitten ihm nicht mehr so sehr in die Fingerkuppen.
    Der Windhund begleitete ihn nachmittags zu Simons Hütte. Sie redeten nie davon, was damals bei ihr zu Hause passiert war.
    Joel wartete und wartete.
    Am Tag vor den Weihnachtsferien war der Windhund wie gewöhnlich mit zu Simons Hütte gegangen. Während Joel die Hunde fütterte, war sie plötzlich verschwunden. Als sie zurückkam, hatte sie rot geschminkte Lippen. Sie stand mitten in Simons Stube. »Jetzt zeig ich es dir«, sagte sie.
    Und das tat sie. Joel wusste, dass er dieses Gefühl nie vergessen würde, solange er lebte. Die Lippen des Windhundes auf seinen.
    Hinterher kicherte sie.
    Und Joel wurde rot.
    Es war der letzte Sonntag vor Heiligabend. Joel fragte den Windhund, ob sie zum Nachtzug mitkommen wollte. »Gibt's da was zu sehen?«, fragte sie.
    »Vielleicht steigt jemand ein und fährt weg«, sagte Joel. »Oder jemand steigt aus. Außerdem muss ich einen Brief aufgeben.«
    Der Windhund war sehr neugierig. »Und an wen?«
    »An jemanden, den du nicht kennst.«
    »An ein Mädchen?«
    »Nein.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Ehrenwort.«
    Auf dem Bahnhof waren einige Menschen versammelt, als der Zug kam. Es kreischte und zischte, als die hohen Eisenräder bremsten. Bahnhofsvorsteher Knif spazierte mit wachsamem Blick herum und passte auf, dass alles war, wie es sein sollte. Joel zog den Windhund mit sich zum Postwagen. Den Brief hatte er in der Hand. »An wen ist er?«, fragte sie wieder. »Das erzähle ich dir ein andermal.«
    Als Knif ihnen den Rücken zukehrte, steckte Joel den Brief in den Briefkastenschlitz. Dieses Mal hatte er eine richtige Briefmarke draufgeklebt.
    Sie blieben auf dem Bahnsteig und sahen den Zug südwärts verschwinden, in Richtung Eisenbahnbrücke, in die Welt. Hinterher stromerten sie herum und beguckten sich die Weihnachtsschaufenster.
    Joel fragte den Windhund, ob sie Lust hatte mitzukommen und Gertrud zu besuchen. Da war sie noch nie gewesen. Und Joel dachte, es war lange her, seit er bei Gertrud war. Das wollte der Windhund gern. Aber nicht heute Abend. Es war schon spät. Ihre Eltern würden böse werden, wenn sie nicht nach Hause kam. Joel brachte sie nach Hause.
    Sah sie durch die Tür verschwinden. Freute sich, dass er sie am nächsten Tag wieder treffen würde. Er musste sich im Küssen üben.
    Es war sternklar und kalt. Joel blieb zwischen zwei Straßenlaternen stehen und schaute zum Himmel empor. Er dachte an den Brief, den er geschrieben hatte und der jetzt auf dem Weg nach Süden war. Fragte sich, ob er jemals ankommen würde.
    Aber bei der Adresse war er ganz sicher:
    An Steuermann Fletchers Nachkommen Pitcairn Island
    Er begann nach Hause zu gehen. Dort wartete Samuel. Man muss immer wenigstens einige Geheimnisse haben, dachte Joel. Sonst kann man nicht leben. Vorher hatte ich Sonja Mattssons und mein Geheimnis.
    Jetzt hab ich noch eins.
    Jetzt hab ich auch den Brief nach Pitcairn Island. Aber er war nicht ganz sicher, ob er es schaffen würde, dem Windhund nicht von dem Brief zu erzählen. Es war mindestens genauso wichtig, Geheimnisse zu teilen wie sie für sich zu behalten.
    Vielleicht würde sie ihn kindisch finden? Einer, der Briefe an jemanden schrieb, den es gar nicht gab. Auf einer Insel, die so weit entfernt war, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Doch daran war jetzt auch nichts mehr zu ändern.
    Er hatte küssen gelernt.
    Aber er war immer noch kindisch. Und das wollte er auch weiter sein. So lange er es wollte.
    Er ging schnell, denn es war kalt.
    In dem Augenblick, als er die Pforte öffnete und Samuels Schatten hinter dem Fenster im Obergeschoss sah, begann es zu schneien.
    Diesmal bin ich nicht reingelegt worden, dachte Joel. Der Schnee ist lautlos. Er schleicht sich an. Aber diesmal war ich bereit.
    Rasch öffnete er die Tür. Alles war jetzt besser. Es war Weihnachten. Samuel hatte einen Tannenbaum mitgebracht, den sie zusammen geschmückt hatten. Es roch nach Kerzen. Und der Windhund war da und sie würde auch am nächsten Tag noch da sein.
    Samuel saß in der Küche und wartete auf ihn. Er sah ernst aus. Joel fürchtete schon, Samuel könnte böse sein, weil er zu lange draußen gewesen war.
    »Ich hab Weihnachtsferien«, sagte er. »Ich brauch morgen nicht früh aufzustehen.«
    Samuel sah ihn an. »Simon ist tot.«
    Joel hatte gehört, was Samuel sagte. Aber er verstand es nicht.
    »Nein«, sagte er, »Simon ist nicht tot. Ich hab mit dem Arzt gesprochen. Er hat gesagt, dass Simon
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