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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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er auch wieder. Würde es ein langer und kalter Winter werden? Der Schnee, der jetzt gefallen war, würde am längsten liegen bleiben. Weil er zuunterst lag. Der erste Schnee, der kam, war der letzte, der schmolz. Und dann wäre es schon Ende April oder Anfang Mai.
    Joel dachte daran, dass er dann schon vierzehn und noch ein paar Zentimeter gewachsen sein würde. Und vieles, von dem er noch nichts wusste, würde passiert sein. Der Schnee war gekommen.
    Dann war Silvester. Auch wenn es erst November war. Für Joel war das so. Er hatte das beschlossen. Silvester kam mit dem ersten Schnee.
    Sein ganz eigener Silvesterabend. An dem Morgen, wenn die Erde weiß war, war es Zeit für ihn, seine Neujahrsgelübde abzulegen. Falls er welche hatte.
    Und er hatte welche. Viele.
    Der Fußboden war kalt. Joel holte das Kissen aus dem Bett und legte es unter seine Füße. Aus der Küche hörte er Samuel mit dem Kaffeekessel klappern. Samuel mochte es nicht, wenn Joel mit den Füßen auf dem Kissen stand. Deswegen musste er bereit sein, schnell vom Fenster wegzugehen, wenn die Tür hinter ihm geöffnet wurde. Aber Samuel kam morgens selten in sein Zimmer. Die Gefahr bestand, aber sie war nicht besonders groß.
    Mit dem Blick verfolgte Joel ein einsames Schneeflöckchen, das langsam zur Erde fiel und von all dem Weiß verschluckt wurde.
    Es gab viel, worüber man nachdenken musste, wenn man dreizehn Jahre alt war. Mehr als mit zwölf. Gar nicht davon zu reden, wenn man erst elf war.
    Zwei Sachen meinte er gelernt zu haben, seit es im letzten Herbst schneite. Das Leben wurde immer komplizierter, je mehr Zeit verging. Und der Winter kam immer dann geschlichen, wenn man es am wenigsten ahnte.
    Joel dachte an den letzten Abend. Da war es noch Herbst gewesen. Nach dem Mittagessen hatte er seine Stiefel angezogen, die Jacke in die Hand genommen und war die Treppe in drei Sprüngen hinuntergelaufen. Da es Sonntagabend war, hielt der Nachtzug aus Richtung Norden im Ort. Selten stieg jemand ein. Und noch seltener stieg jemand aus. Aber man konnte ja nie wissen. Außerdem schmuggelte Joel dann immer geheime Briefe in den Briefeinwurfschlitz im Postwaggon.
    Ich behalte euch im Auge.
Unterzeichnet J. Immer derselbe Text. Aber auf die Umschläge schrieb er verschiedene Namen, die er sich aus Papa Samuels Zeitung holte. Die Adressen erfand er selbst.
    Wunderwerkstraße 9.
Oder
Schmied-Lundbergs-Allee 12.
Joel dachte, dass es vielleicht irgendwo auf der Welt gerade so eine Adresse gab. Da er jedoch gleichzeitig den Verdacht hatte, die Post könnte geheime Personen angestellt haben, die Tag und Nacht damit beschäftigt waren, Leute aufzuspüren, die Briefe an erfundene Adressen schickten, wagte er es nicht, die Namen von Städten zu benutzen, die es wirklich gab. Deswegen studierte er in der Schulbibliothek
Wann Wo Wie.
Das war ein Kalender, in dem stand, was im vergangenen Jahr geschehen war. Ganz hinten gab es eine lange Liste mit allen Städten und Orten des Landes. Da konnte man ablesen, welche Städte größer geworden waren. Oder welche Flecken kleiner. Der Ort, in dem Joel wohnte, wurde immer kleiner. Das untermauerte Joels Verdacht. Niemand wollte hier wohnen. Es wollte auch niemand herziehen. Wenn es ganz schlecht ausging, dann würden Papa Samuel und er die letzten Menschen sein, die es hier noch gab. Einmal hatte er versucht, Samuel das zu erklären. Aber der hatte nur gelacht. »Am Fluss werden immer Menschen wohnen«, hatte er geantwortet.
    »Müssen das ausgerechnet wir sein?«, hatte Joel gefragt. Darauf hatte Samuel keine Antwort gegeben. Er hatte nur noch einmal gelacht, bevor er sich die Brille aufsetzte und in der Zeitung zu blättern begann. Aber in
Wann Wo Wie
konnte Joel jedenfalls kontrollieren, dass es die Adressen auf seinen geheimen Briefen nirgendwo in Schweden gab. Weder Joelsholm noch Graneborg.
    Er klebte nie Briefmarken auf die Briefe. Die zeichnete er. Männer mit großen Nasen. Da die Briefe erfunden waren, wäre es unpassend gewesen, echte Briefmarken draufzukleben. Er musste vorsichtig sein, wenn er die Briefe einwarf. Bahnhofsvorsteher Knif hatte scharfe Augen und konnte leicht aufbrausend und wütend werden. Aber bis jetzt war Joel noch nie erwischt worden. In seinem Notizbuch hatte er aufgeschrieben, dass er insgesamt schon elf Briefe mit dem Zug nach Süden auf die Reise geschickt hatte. Den letzten Brief hatte er also gestern Abend in den Postwaggon geschmuggelt. Und da war es noch Herbst gewesen. Der Frost
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