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Joe von der Milchstraße

Joe von der Milchstraße

Titel: Joe von der Milchstraße
Autoren: Philip K. Dick
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sie zu erfüllen hatten.
     
    Sein würfelförmig gebauter Raum, der ihm zugleich als Büro und als Werkstatt diente, enthielt eine Werkbank, diverse Werkzeuge, den Stapel mit leeren Metallbehältern, einen kleinen Schreibtisch und seinen alten, lederbezogenen Schaukelstuhl, der schon seinem Großvater gehört hatte und später dann seinem Vater. Und jetzt saß er auf diesem Stuhl, Tag für Tag, Monat für Monat. Außer diesen Dingen hatte er noch eine einfache Keramikvase. Sie war kurz und ziemlich breit, der weiße Untergrund war mit einer mattblauen Glasur betropft worden. Er hatte sie vor Jahren gefunden und als ein japanisches Stück aus diesem Jahrhundert eingestuft. Er liebte diese Vase. Sie war noch nie beschädigt gewesen, nicht einmal während des Krieges.
    Er setzte sich auf seinen Stuhl und spürte, wie dieser nachgab, so, als passe er sich einem vertrauten Körper an. Der Stuhl kannte ihn, genauso wie er den Stuhl kannte; schließlich kannte der Stuhl ihn ja schon sein ganzes Leben lang.
    Joe beugte sich vor, um den Knopf zu drücken, der die Morgenpost durch das Rohr auf seinen Schreibtisch gleiten ließ. Er zögerte einen Augenblick. »Was ist, wenn ich keine Post bekommen habe?« fragte er sich. »Es ist ja nie etwas für mich dabei. Aber vielleicht ist es heute anders? Es ist wie bei einem Torwart: wenn er lange keinen Ball mehr hereinbekommen hat, sagst du dir: ›Jetzt muß es aber mal passieren!‹ Meistens kommt es dann auch so.«
    Joe drückte auf den Knopf. Drei Rechnungen fielen aus der Öffnung. Außerdem war noch ein blaßgraues Päckchen dabei. Es handelte sich um seine tägliche Unterstützung in Form von Regierungsgeld. Es waren kleine, fast wertlose Papiermarken.
    Jeden Morgen, wenn er sein graues Päckchen mit frischgedruckten Noten erhielt, fuhr er auf dem schnellsten Weg zum GUB, dem nächstliegenden Super-Shopping-Center, wo er eilig seine Einkäufe machte. Er tauschte die Noten, solange sie noch irgendwelchen Wert besaßen, gegen Nahrungsmittel, Zeitungen, Pillen, ein neues Hemd, oder irgendetwas, das zufällig in seiner Reichweite lag. Alle machten es so. Man mußte es so machen. Wenn man Regierungsgeld nur vierundzwanzig Stunden behielt und es nicht ausgab, kam das einer selbstauferlegten Katastrophe gleich. Im Grunde war es Selbstmord. Grob gerechnet verlor das Regierungsgeld innerhalb von zwei Tagen achtzig Prozent seiner Kaufkraft.
    Der Mann in dem würfelförmigen Raum nebenan rief ihm zu: »Lang lebe der Präsident!« Es war der übliche Gruß.
    »Ja«, antwortete Joe automatisch.
    Es gab eine ganze Anzahl über- und nebeneinanderliegender Räume dieser Art. Plötzlich kam Joe auf den Gedanken, herauszufinden, wieviele Räume sich wohl in dem Gebäude befanden. Waren es tausend oder sogar zweieinhalbtausend? Ich kann es heute machen, dachte er. Ich kann genau nachprüfen, wieviele dieser Räume noch außer meinem in dem Gebäude sind. Dann wüßte ich auch, mit wieviel Leuten wir insgesamt in diesem Haus sind, ausgenommen diejenigen, die wegen einer Krankheit, oder weil sie gestorben sind, nicht da sind. Aber erst wollte er eine Zigarette rauchen. Er zog eine Schachtel echter Tabakzigaretten aus der Tasche. Was er machte, war höchst illegal. Rauchen war wegen des Gesundheitsrisikos und der Suchtgefahr streng verboten.
    Als er die Zigarette gerade anzünden wollte, fiel sein Blick wie immer auf den Rauchsensor, der an die gegenüberliegende Wand montiert war. Er seufzte und steckte die Zigaretten wieder in die Tasche. Dann rieb er sich nervös die Stirn und versuchte, dieses Bedürfnis, das so tief in ihm saß, diese Begierde, die ihn schon oft mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hatte, näher zu ergründen. »Wonach sehne ich mich denn eigentlich wirklich?«, fragte er sich. Nach etwas, wofür Rauchen und andere orale Genüsse nur ein schaler Ersatz sind. Ich sehne mich nach etwas ganz Großem, dachte er. Er fühlte, wie der Urhunger sich seiner bemächtigte, als wollte er mit weit aufgerissenen Kinnladen alles um sich herum verschlingen und in sich hineinstopfen.
    Durch diese tägliche, ohnmächtige Langeweile war er zu dem Spiel gekommen.
    Er drückte auf den roten Knopf, hob den Hörer ab und wartete, bis das Relais seinen Apparat langsam und knarrend mit einer Außenleitung verbunden hatte.
    Das Gerät gab ein quietschendes Geräusch von sich. Auf dem Bildschirm tauchten unwirkliche Farben und Gebilde auf.
    Verschwommene Flecken machten das elektronische Sprachengewirr
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