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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt
Autoren: Mike Mignola
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seinen Augen funkelte der Wahnsinn. »Hast du nicht zugehört? Ich habe nie geglaubt, steuern zu können,was dieser Welt widerfährt. Und es ist mir egal. Ich lasse diese Welt hinter mir. Von mir aus könnt ihr hier alle ersaufen. Aber der junge Gott ist nun vollständig ausgebildet, und sobald er mich hört   …«
    Ehrfürchtig riss der Wahnsinnige die Augen auf. Ein verzücktes Lächeln legte sich auf sein Gesicht, und Freudentränen liefen ihm über die Wangen. Sein Mund stand schlaff offen; nun konnte er nicht einmal mehr Wörter bilden.
    Molly drehte sich um und blickte in die Richtung, in die Cocteau starrte. Er schaute nicht auf die Gebäude hinter ihr   – er schaute in den Himmel. Ein Gas-Mann versperrte ihr die Sicht, und sie ging um ihn herum. Dann stand sie da und konnte nur gebannt starren. Ihr stockte der Atem.
    Im Nachthimmel klafften Schlitze. Wo sich eben noch Wolken, Sterne und das unendliche Weltall befunden hatten, sah Molly Streifen aus blauschwarzer Leere. Sie dachte an die Vorhänge in Cocteaus Versteck, zwischen denen sie in den Raum dahinter geschaut hatte; hinter diese Vorhänge aber wollte sie nicht blicken. Durch die Risse in der Realität wirkte selbst die Dunkelheit falsch. Es war, als könne die ganze Welt hindurchfallen und für ewig in der Leere verloren gehen.
    Die Schreie des Wesens, zu dem Felix geworden war, erfüllten weiterhin die Stadt, hallten von den Gebäuden wider und schaukelten sich mit der Strömung des Flusses hoch. Sie wurden immer lauter, klangen bittend und beinahe gereizt.
    Doch Molly nahm es kaum wahr. Von der Verkehrtheit   – der Abseitigkeit   – dessen, was sich am Himmel vor ihr abspielte, bekam sie eine Gänsehaut. Irgendetwas manifestierte sich dort, das keine definierbare Form zu haben schien und aus Spiralen bestand, die sich ineinanderdrehten oder zur Stadt hinunterhingen. Die Tentakel dieses Etwas waren unendlich viel größer als die des Wesens, zu dem Felix sich entwickelt hatte, und sie schienen über die Hausdächer zu streifen odersie zu durchdringen   – im einen Moment stofflich fest, im nächsten substanzlos wie ein Gespenst.
    »Hier geschieht aber nicht das, was Sie vorhergesagt haben«, rief Molly und wandte sich Cocteau zu, obwohl sie vor Abscheu schauderte. Die Luft fühlte sich an, als würden ihr am ganzen Leib Insekten über die Haut krabbeln.
    Dr. Cocteau schüttelte den Kopf. Er wirkte wie hypnotisiert. »Ich habe es nicht gewusst. Aber begreifst du denn nicht, was du siehst? Das ist einer der alten Götter, ein Wesen aus dem anderen Kosmos. Du erblickst das Angesicht Gottes.«
    »Nicht meines Gottes«, entgegnete Molly und starrte wieder auf das Wesen, dessen bloße Existenz unfassbar erschien. Es schob sich ständig in die Wirklichkeit hinein und wieder aus ihr heraus; seine Ränder verschwammen, und seine Gestalt veränderte sich, als würde die Welt, wie Molly sie kannte, ihm mithilfe ihrer physikalischen Gesetze verwehren, sich in seiner wahren Gestalt zu manifestieren.
    Dr. Cocteau hob das Pentajulum wieder mit beiden Händen und zerrte daran. Zuerst zog er wie beiläufig an dem Artefakt, dann versuchte er es auseinanderzureißen oder zu verbiegen. Er drückte auf die Windungen und Kanten, presste es mit den Handflächen zusammen, schien nach irgendeinem Schalter zu tasten. Dabei wechselte seine Miene von freudig über hilflos zu panisch. Cocteau hatte keine Zeit mehr zu lernen, wie Lectors Pentajulum funktionierte.
    »He!«, rief Molly, doch er beachtete sie gar nicht; deshalb rief sie noch einmal und schlug ihm gegen den Arm, so fest sie konnte.
    Zwei Gas-Männer reagierten und griffen nach ihr. Einer packte sie fest bei der Schulter, doch sie entwand sich ihm, und die beiden Kreaturen zögerten, warteten auf Anweisungen.
    Dr. Cocteau wich wankend vor ihr zurück, hielt das Pentajulum aber weiterhin schützend an seine Brust gepresst. Wütend starrte er sie an,und Molly erinnerte sich, dass er geschworen hatte, sie zu töten. Wenn er es befahl, würden die Gas-Männer sie ermorden, ohne zu zögern, aber aus irgendeinem Grund fürchtete Molly sich trotzdem nicht. Angesichts des Leids und der Zerstörung ringsum erschien ihr das eigene Leben als sehr kleiner Einsatz.
    »Sie werden es nicht mehr rechtzeitig herausfinden, um sich zu retten«, rief sie ihm zu, um die Todesschreie der Stadt zu übertönen. »Wenn Sie es nicht aufhalten, sterben Sie genauso wie wir alle!«
    Cocteau starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an
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