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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt
Autoren: Mike Mignola
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Cocteaus warfen sich die Gas-Männer dagegen, und die Tür brach mit lautem Krachen auf. Der Nachtwind wehte ins Treppenhaus.

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Kapitel 22
    V or Anstrengung und Erleichterung zitternd trat Molly auf das Dach eines alten Gebäudes und blickte sich um. Sie sog die salzige Luft ein, schaute hinauf zum Mond und zu den Sternen, die durch die Wolken schimmerten, und versuchte herauszufinden, wo sie waren. Irgendwo in Downtown, so viel stand fest. Der Regen hatte endlich aufgehört, doch der Gedanke erfüllte sie mit neuer Traurigkeit. Er erinnerte an Joe und an Felix.
    In ihrer eigenen Stadt verirrt, von allem Tröstlichen in ihrer Vergangenheit für immer abgeschnitten, hätte sie sich beinahe der Verzweiflung ergeben. Welche Zukunft lag vor ihr, wenn sie diese Nacht überlebte? Sie besaß Freunde und Bekannte, und einige Klienten waren freundlich zu ihr gewesen, wenn sie Felix aufsuchten, aber sie hatte keine Familie und kein Zuhause, nur die Etage im alten Crown Theater. Welche Zukunft ihr auch bevorstand, sie müsste sie selbst gestalten.
    Das Gebäude ruckte und schüttelte sich unter ihr; der Erdstoß riss sie von den Füßen. Sie landete auf Händen und Knien und blickte sich entsetzt um, voller Angst, das alte Haus könne einstürzen und im Fluss versinken; dann wäre sie ein weiteres Opfer der Versunkenen Stadt.Überall auf dem Dach stürzten die Gas-Männer um. Dr. Cocteau war auf die Knie gesunken, doch er hatte sich halten können, auf einen Arm gestützt; mit der anderen Hand wühlte er aufgeregt in der Tasche seiner angesengten, blutbespritzten burgunderroten Jacke.
    Hatte er das Pentajulum verloren? Molly hoffte es. Der Mistkerl würde damit nur noch mehr Schaden anrichten.
    Ein donnernder Lärm drang zu ihr, und sie drehte sich um. Ganz Uptown bebte. Gebäude fielen in sich zusammen. Ein funkelnder Turm geriet ins Wanken, und Molly beobachtete, wie er langsam einstürzte. Die oberen Stockwerke eines auffälligen Hochhauses brachen zusammen, die Fensterscheiben zerstoben. Jahrzehntelang hatten sich die Bewohner der reichen Uptown von der Not und Verwüstung im Süden abgewandt und vorgegeben, dass niemand gegen seinen Willen dortbleiben müsse; in ihren Bürotürmen und hinter Firmenbastionen hatten sie sich unangreifbar gewähnt. Jetzt fielen die Bauwerke in Trümmer, und Molly fragte sich, ob Upper Manhattan genauso versinken würde wie Lower Manhattan vor so vielen Jahren. Würde das Meer die Straßen überfluten und Uptown zu einem Teil der Versunkenen Stadt machen? Zuerst fand sie, dass es ihnen recht geschah, diesen reichen Eliten, die weniger Glückliche im Stich gelassen und sie wegen der desolaten Bedingungen, unter denen sie leben mussten, verachtet hatten. Dann aber dachte sie an die Familien und die Kinder und das Glück, das mit jeder verstreichenden Sekunde zerstört wurde, und sie schämte sich für ihre anfängliche Genugtuung.
    Doch beschämt oder nicht   – Uptown zerfiel. Bald würde es ertrinken.
    Das Dach, auf dem Molly stand, ruckte plötzlich hoch. Sie verlor das Gleichgewicht und stieß sich den Kopf an. Benommen versuchte sie aufzustehen, doch sie stolperte nur ein paar Fuß weit auf Dr. Cocteau zu. Das Brüllen des Erdbebens füllte den Himmel und drang ihr in dieKnochen. Aus nicht allzu großer Entfernung hörte sie Schreie, die sie für ängstliche Gebete hielt, die vermutlich nicht erhört würden.
    Doch mitten in diesen Schreien war ein anderer Laut zu vernehmen   – ein Laut, den sie erst vor wenigen Minuten schon einmal gehört hatte. Der unheimliche Schrei konnte nur das klagende Heulen des seltsamen Wesens sein, zu dem Felix Orlov geworden war. Es wurde immer lauter, und Molly huschte an den Dachrand. Vierzig Fuß von ihr entfernt bildete sich ein Riss. Sie glaubte schon, das Gebäude würde unter ihr zusammenbrechen, doch dann ließ das Beben allmählich nach.
    Eine niedrige Brüstung begrenzte das Dach. Molly schob sich vorsichtig darauf zu, ergriff die Mauerkrone und zog sich auf die Knie. Wenn die Erdstöße wieder zunahmen, wurde sie vielleicht vom Dach geschleudert. Aber dieses schreckliche, durchdringende, jammervolle Heulen ließ sie nicht los, und sie musste hinschauen, musste Felix sehen.
    Als sie über die Brüstung spähte, bot sich ihr ein Anblick, der sie lähmte. Das Erdbeben hatte das Wasser aufgewühlt. Das alte Rathaus war halb in den Fluss gesunken, und die Strömung riss immer mehr Gebäudeteile davon. Und auf der Kreuzung vor dem Rathaus, von den
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