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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt
Autoren: Mike Mignola
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sah nicht aus wie der Mr.   Church, den Molly gekannt hatte. Seine Züge waren noch immer mürrisch, aber das Gesicht war viel jünger, und der Schemen zeigte keinerlei Spur technischer Eingriffe. Churchs Geist präsentierte sich, wie er in jungen Jahren ausgesehen hatte, ehe es ihm nötig erschienen war, mithilfe von Magie und Mechanik sein Leben zu verlängern. Molly stellte fest, dass die Tatsache seines Todes sie weniger schockierte als die Erkenntnis, wie lange er gelebt hatte.
    Ein Schauder lief Molly über den Rücken, und eisige Finger fuhren ihren Nacken entlang. Sie machte einen Schritt zurück und wollte gehen. Sie war hergekommen, um Mr.   Church mitzuteilen, was aus Joe geworden war, doch hier gab es niemanden, dem sie berichten konnte, nur das Gespenst, und sie empfand kein großes Bedürfnis, mit den Toten zu reden. Das war Felix’ Metier gewesen, nicht ihres.
    Ja , sagte der Geist. Seine Stimme flüsterte in Mollys Ohren wie ein leichter Wind, der ihr am Haar zupfte. Sie schien von überall im Raum zu kommen und gleichzeitig von nirgendwo. Sie sollten gehen.
    Molly war der gleichen Ansicht. Furcht erfasste sie, und sie wich einen weiteren Schritt zurück. Sie hörte die Trauer in der Stimme von Churchs Gespenst, aber sie hatte Angst, auch nur noch einen Augenblick länger in diesem Raum zu verbringen. Als Molly das Gespenst erblickt hatte, hatte sie tiefe Trauer empfunden. Jetzt packte sie Furcht, und Joes oder Mr.   Churchs Schicksal interessierten sie nicht mehr.
    Dann aber blickte das Gespenst zu ihr hoch, und die Trauer in seinen Augen hielt sie fest.
    Ich bin nur der Ansicht, dass ich selbstsüchtig war , wisperte das Gespenst. Phantomtränen berührten die Ränder seiner bodenlosen Augen. Ich hatte so lange gelebt und mich von so vielen Freunden und Bekannten verabschiedet, dass ich mir sagte, es nicht ertragen zu können, noch einmal einen Partner zu haben. Ich hatte mich mit einem Leben in Einsamkeit abgefunden, dann aber wurde ich seiner überdrüssig   … der Einsamkeit und dem Leben an sich.
    Molly blickte ihn an. Ihr Herzschlag pochte ihr in den Ohren. Jede Faser ihres Körpers riet ihr zur Flucht, doch ihr Herz gestattete nicht, dass sie gehorchte. Sie musste sich auch den Rest anhören. Das Gespenst schwebte näher, seine Augen beschworen sie um Verständnis.
    Als der Golem zum Leben erwachte, hielt ich den Vorfall für eine Belohnung an uns beide. Das Universum hatte mir einen Bruder oder einen Sohn geschenkt, weil es dankbar war für meine Anstrengungen im Kampf gegen das Leid auf der Welt. Und der Golem, Joe   … er war wie Pinocchio ein echter Junge geworden und durfte erfahren, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Er hatte Hunderte von Jahren gewartet und in einem Kasten gestanden, aber jetzt durfte er als Mensch leben und sterben.
    Molly stand mitten im Staub und in den seltsamen Büchern und Kuriositäten, die Mr.   Church während seines langen Lebens angesammelt hatte, und sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass Joe einer dieser Gegenstände gewesen war. Die Vorstellung bedrückte sie ungemein.
    »Er ist gestorben«, sagte sie. »Auf dem Friedhof von Brooklyn Heights. Er wurde von so vielen Kugeln getroffen   … er kann nicht überlebt haben.«
    Wieder ließ Churchs Gespenst den Kopf hängen, doch nun erkannte Molly an seiner Haltung seine Scham und die Reue, die schwer auf ihm lastete.
    Mir blieb keine andere Wahl, als ihn zurückzurufen. Jemand musste Dr. Cocteau aufhalten.
    Molly starrte Churchs Gespenst an und bekam eine Gänsehaut. Als die Worte zu ihr durchgedrungen waren, hob sie eine Hand; einen Augenblick lang fürchtete sie, ihr könnte übel werden.
    »Sie haben ihm das absichtlich angetan?«, fragte sie. »Sie sagen, dass Gott oder das Universum ihm seine Menschlichkeit geschenkt hat, und Sie haben sie ihm weggenommen?«
    Churchs Gespenst hob den kalten Blick und starrte sie an. Andernfalls wären Sie jetzt tot. Und wenn Cocteau auf irgendeine Weise gelernt hätte, das Pentajulum zu benutzen   … Die Realität selbst war in Gefahr. Hätte ich Joe darum gebeten, hätte er seine Menschlichkeit bedenkenlos geopfert, um so vielen anderen das Leben zu retten.
    »Cocteau hätte es nie geschafft«, widersprach Molly.
    Joe war mein bester Freund, Molly. Wenn irgendeine andere Möglichkeit bestanden hätte   …
    Molly atmete aus und schloss die Augen. Die Trauer legte sich noch schwerer über sie.
    »Und jetzt?«, fragte sie und blickte das Gespenst
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