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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt
Autoren: Mike Mignola
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hier sein! Das war nicht geplant!«
    Wie auf sein Kommando erreichte Joe den Punkt auf dem Kadaver, der ihnen am nächsten war, rutschte in den Fluss und verschwand außer Sicht. Molly schnürte es die Brust zusammen. Wieder drückte sie sich gegen das Geländer und suchte das Wasser nach einer Spur von Joe ab.
    Cocteau wandte sich ihr zu. »Es ist eine Abscheulichkeit, dieses Ungeheuer«, sagte er mit funkelnden Augen. »Wenn ich gewusst hätte, dass Simon Church die ganze Zeit einen Golem hatte, hätte ich mir größere Mühe gegeben, das Monstrum zu töten.«
    Molly runzelte die Stirn. Golem. Sie kannte das Wort nicht, aber jetzt verband sie es mit dem Wesen, zu dem Joe geworden war.
    Cocteau beobachtete das Wasser genauso aufmerksam wie Molly, das Pentajulum an die Brust gedrückt. Molly musterte den mystischen Gegenstand stirnrunzelnd. Einen Augenblick lang schien das Pentajulum kaum mehr da zu sein, dann halb in Cocteaus Brust eingebettet   – und jetzt sah es wieder so fest und solide aus wie damals, als Joe und sie es in Andrew Golniks Leiche gefunden hatten.
    Ein weiterer Erdstoß rüttelte die Feuertreppe durch. Er war stärker als der vorherige. Molly entfuhr ein Schrei. Sie hielt sich an der Leiter fest. Cocteau wäre beinahe in den Fluss gestürzt und ließ sich auf die Knie fallen, damit er nicht übers Geländer geschleudert wurde. Das Gebäude wurde durchgeschüttelt. Molly schaute um sich. Mörtelstaub, Ziegelbrocken und Glasscherben regneten auf sie herab.

    Als sie in Richtung Uptown blickte, sah sie, wie ein schlanker Turm   – ein Gebäude, das aussah, als bestände es nur aus Glas   – einzustürzen begann. Die obere Hälfte der Kristallnadel brach ab und fiel in die Tiefe. Zurück blieb der gezackte Stumpf eines Gebäudes. Molly fragte sich, wie viele Menschen in diesem einen Augenblick gestorben, wie viele andere Leben zugrunde gerichtet worden waren.
    Noch während sie entsetzt beobachtete, brach ein funkelnd schwarzes Bürohochhaus in sich zusammen. Wolken aus Staub und Rauch stiegen im Norden auf, orangerote Feuerzungen leckten in den Himmel.
    Wie viel von Uptown steht noch? , fragte sich Molly. Wie viel war überflutet worden? Wie viele Menschen mussten lernen, in Ruinen zu überleben, wie die Menschenin Downtown es schon seit einem halben Jahrhundert zuwege brachten?
    Mit jeder verstreichenden Sekunde weitete die Versunkene Stadt ihre Grenzen aus.
    Noch auf den Knien brüllte Dr. Cocteau seine Wut und Enttäuschung heraus. Er stieß das Pentajulum hoch, als wollte er es in den Himmel schleudern.
    »Du bist wegen deinem Kind gekommen!«, kreischte er. »Er ist mein Bruder. Ich habe ihm geholfen, seine wahre Natur zu finden. Ich habe meinen Platz an deiner Seite verdient! Ich verdiene es, deine Welt mit meinen eigenen Augen zu sehen. Ich gehöre dorthin, und das hier ist mein Schlüssel!«
    Er schüttelte das Pentajulum. »Nimm ihn mit, wohin er gehört, und nimm auch mich mit! Aber vorher   … töte ihn!«
    Molly zuckte zusammen, als Cocteau nach Süden zeigte, und sie begriff, was ihm endgültig den Verstand geraubt hatte. Sie beugte sich vor und blickte aus aufgerissenen Augen Joe an, den Golem, der sich an der Mauerecke festhielt. Er schlug mit der Faust in die Ziegel; dann grub er die Finger hinein, fand einen Halt und wiederholte das Ganze mit der anderen Hand. Stein für Stein zog er sich auf den Sims eines zerborstenen Fensters und hielt sich am Rahmen fest.
    »Er wollte dir das hier vorenthalten!«, schrie Cocteau dem zerrissenen, vergewaltigten Himmel zu, der immer unwirklicher wurde, und dem wabernden alten Gott, der von den Wolken herunterhing. »Er wollte es für sich selbst!«
    Doch der alte Gott schien nicht zuzuhören.
    Das Felix-Wesen jedoch hatte sein jämmerliches Geheul wieder eingestellt. Hundert Yards entfernt, im brodelnden Wasser der überfluteten Straßenkreuzung, wandte er sich ihnen zu und betrachtete sie mit seinen vielen Augen.
    Joe arbeitete sich über den Sims zur Feuertreppe vor, indem er die Steinfinger in Ziegel und Mörtel stieß und so seine eigenen Mauerrisse schuf. Cocteau schien endlich zu begreifen, dass seine Worte auf taube Ohren trafen, und wandte sich um. Er rannte die Stufen zur nächsten Etage hinauf. Seine Schuhe ließen das Metallgitter dröhnen.
    Doch fünf Stufen höher schien er seinen Fehler zu begreifen, hielt inne und sprang wieder auf die Plattform hinunter. Mit einem Kreischen riss das andere Ende der Feuertreppe aus der
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