Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
Vom Netzwerk:
ein. Die Falter hatten aufgehört zu schwirren, kein Vogel schrie, kein Auto raste draußen seinem eigenen Lichtschein hinterher. Nur das Geräusch von berstendem Holz setzte nach einer Weile wieder ein. Es klang jetzt nicht mehr, als würde ein Ast vom Stamm gebrochen, sondern wie ein Malmen, die Zerstörung einer an sich stabilen Struktur unter gewaltigem Druck. Das konnte nur Jim sein. Vielleicht war er beim Bau seines Schlafnestes auf leckere Zweige gestoßen. Opitz stellte fest, dass seine Angst vor dem Orang-Utan verschwunden war. Wieder hatte er die Vorstellung, dass nicht Jim, sondernMundt durch den Garten schlich. Opitz startete die Kettensäge. Die Picco duro schnitt durch das Douglasienholz wie durch Butter. Er machte das verdammte Bett kurz und klein, sogar die Matratze rissen die gehärteten Sägezähne in tausend Fetzen. Die Stücke warf er Mundt hinterher, er vertrieb ihn so aus dem Garten. Und seine Hand hielt stand. Diese neue Hand.
    Er hielt sie in die Luft, als wollte er Anna seinen Gips zeigen. Endlich erzählte er ihr von seinen Fortschritten, dem tollen gesunden Gefühl, das er nun hatte, aber auch von seinen Befürchtungen. Jeden Moment konnte sie schließlich zu alter Größe anschwellen. Zuerst wollte er seine Geschichte ein bisschen aufmöbeln und es so darstellen, dass er sich im Bus spontan selbst geheilt hätte. Vielleicht, wollte er ihr erklären, war es sein eigener Blick gewesen, der seine Hand so fantastisch groß gemacht hatte. Doch er sagte einfach die Wahrheit. Anna zeigte mit keiner Regung, ob sie zuhörte. Nur ihre Brust hob und senkte sich regelmäßig. Er war derart von seiner Neuigkeit beseelt, dass es ihm gar nichts ausmachte. Vielleicht um zu beweisen, wie sehr sein Befinden sich verändert hatte, trat er an das Gartenbett heran und rüttelte an einem der Pfosten, die den Betthimmel trugen. Er fand ihn stabil, wie er es bei einem Produkt von Manufactum erwarten konnte.
    «Ich freu mich, Frank.» Anna hielt die Augen weiter geschlossen. Sie sprach geradeaus, mehr zufällig in seine Richtung. «Als ich das Gartenbett sah, dachteich gar nicht daran, dass du mit deinem schlimmen Arm nicht draußen schlafen kannst. Ich dachte auch nicht an Jim. Du weißt doch, wie gern ich mich im Freien aufhalte. Vielleicht kann jetzt alles anders werden?»
    Das Bett bietet zwei Personen Platz.
    Es hätte sich im Einmannbetrieb aufstellen lassen, dachte er mit einem Funken Trotz. Darüber breitete sich schon die Milde. Die Decke des Schweizer Alpenclubs war ein lieb gemeintes Geschenk. Er fand dennoch, dass Anna eine kleine Strafe verdient hatte, und schwieg.
    «Ich hatte mir schon eine Wiedergutmachung überlegt. Die sollst du natürlich bekommen, auch wenn sich deine Lage geändert hat.»
    Noch einmal schenkte er sich die Antwort. Das tat ihm gut.
    «Manchmal», fuhr Anna, immer noch mit geschlossenen Augen, fort, «denke ich, es geht mir mit dir wie mit Jim. Ich schau ihn mit so viel Wärme an und will ihm sagen, dass ich ihn mag. Ich sage es ihm auch und versuche, es ihm zu zeigen. Aber versteht er mich?»
    Wie scheu und zärtlich sie von dem Orang-Utan sprach.
    «Tobias hat mir vorgeschlagen –»
    Er wollte erzählen, wie Mundt ihn zum Fälschen von Affenbildern aufgefordert hatte. Im letzten Moment sah er davon ab.
    «Ich will mit dir verreisen, Anna. Am liebsten gleichmorgen. Den Essay lasse ich bleiben, der ist eh Schrott. Wer kümmert sich um Jim, wirst du jetzt fragen. Das ist es gerade. Wir bringen Jim nach Sumatra, und anschließend machen wir Urlaub. Hörst du? Wir müssen ihn wegbringen.»
    Annas Augen funkelten im Gaslicht, als sie endlich die Lider hob und befremdet wiederholte: «Wir müssen?»
    «Wir müssen. Ich kam noch nicht dazu, es dir zu sagen. Aber heute Morgen ist Jim auf den Balkon geklettert.
    Sie stieß einen kleinen Schrei aus.
    «Das hättest du mir sofort mitteilen müssen. Wenn er auf den Balkon kommt, kann er auch über die Gartenmauer klettern.»
    «Er hatte seine Arme und Beine an dem Geländer heillos verknotet und wäre fast abgestürzt. Jim kann nicht hierbleiben, Anna. Wenn er aus dem Garten flieht, wird er zu einer Gefahr für die Nachbarn, vom Straßenverkehr zu schweigen.»
    «Was gehen mich die Nachbarn an? Er ist in Gefahr! Oh, Jim! – Wo steckt er denn? Hast du ihn gesehen?»
    Opitz spürte etwas im Gesicht, ein Nachtinsekt wahrscheinlich, und wischte es mit dem Handrücken fort. Er fühlte, wie auf seinen Wangen wieder harte Bartstoppeln standen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher