Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jetzt Plus Minus

Jetzt Plus Minus

Titel: Jetzt Plus Minus
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
aufgehört, mich zu lieben?«
    »Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben«, sagte ich.
    »Warum dann?«
    »Ich will es dir sagen. Ich habe ein Geheimnis, das ich noch keinem Menschen anvertraut habe.«
    Die Worte drängten heraus. Ich erzählte alles. Die Entdeckung meiner Gabe, das frühe Chaos der Sinnesbombardierung von anderen Zeiten, die Verwirrung, eine Stunde vor und nach der Zeit wie auch in der Gegenwart zu leben. Die Monate der Disziplin, die nötig gewesen waren, um meine Gabe zu entwickeln. Der heftige Kampf, die Reichweite der außersinnlichen Wahrnehmung auf fünf Stunden, zehn, vierundzwanzig, achtundvierzig auszudehnen. Die Lust, an der Börse zu spekulieren und nie zu verlieren. Die komplizierten Systeme der Spekulation; die selbstauferlegten Grenzen, um zu verhindern, daß am Ende aller Besitz der Welt mir gehörte; die Freuden ungeheuren Reichtums. Und auch die Einsamkeit. Die Herrlichkeit des Abends, an dem ich sie kennengelernt hatte.
    Dann sagte ich: »Wenn ich mit dir zusammen bin, wirkt es nicht. Ich kann mit meinen Ichs nicht in Verbindung treten. Ich habe in den letzten zwei Wochen Millionen verloren, als ich normal an der Börse spekulierte. Du warst im Begriff, mich zu ruinieren.«
    »Das Amulett«, sagte sie. »Das bewirkt es. Es nimmt psionische Energie auf. Es unterdrückt das Psi-Feld.«
    »Das dachte ich mir. Aber wer hat jemals so etwas gehört? Wo hast du es her, Selene? Warum trägst du es?«
    »Ich habe es weit von hier bekommen«, sagte Selene. »Ich trage es, um mich zu schützen.«
    »Wogegen denn?«
    »Gegen meine eigene Gabe. Meine schreckliche Gabe, meine Alptraum-Gabe, meinen Fluch von einer Gabe. Aber wenn ich zwischen meinem Amulett und meiner Liebe wählen muß, ist das keine Wahl. Ich liebe dich, Aram, ich liebe dich, ich liebe dich!« Sie ergriff die Metallscheibe, riß sie von der Kette um ihren Hals und schleuderte sie über den Rand des Monuments. Sie flatterte am dämmernden Himmel und war fort.
    Ich spürte, wie Jetzt minus n und Jetzt plus n zurückkehrten.
    Selene verschwand.
    Eine Stunde lang stand ich allein auf Abu Simbel, regungslos, verwirrt, betäubt. Plötzlich war Selene wieder da. Sie packte meinen Arm und flüsterte: »Schnell! Ins Hotel!«
    »Wo bist du gewesen?«
    »Am nächsten Dienstag«, sagte sie. »Ich oszilliere in der Zeit.«
    »Was?«
    »Das Amulett dämpft meine Oszillationen. Es hat mich in der Gegenwart verankert. Ich bekam es im Jahre 2459. Von jemandem, den ich dort kannte, dem ich sehr viel bedeutet habe. Es war sein Abschiedsgeschenk, und er gab es mir mit dem Wissen, daß wir uns nie mehr würden treffen können. Aber nun –«
    Sie verschwand. Achtzehn Minuten blieb sie fort.
    »Ich war am vergangenen Dienstag«, sagte sie, als sie zurückkam. »Ich habe mich angerufen und gesagt, daß ich dir nach Istanbul und nach Tel Aviv und schließlich nach Ägypten folgen soll. Siehst du, wie ich dich gefunden habe?«
    Wir eilten zu ihrem Hotel mit Blick auf den Nil. Wir liebten uns, und einen Augenblick vor dem Höhepunkt fand ich mich allein im Bett. Jetzt plus n meldete sich und sagte: »Sie ist hier bei mir gewesen. Sie müßte auf dem Rückweg zu dir sein.« Selene kam zurück.
    »Ich war am –«
    »– kommenden Sonntag«, sagte ich. »Ich weiß. Kannst du die Oszillationen überhaupt nicht kontrollieren?«
    »Nein. Das geht völlig von selbst. Wenn der Schwung größer wird, geht es durch Jahrhunderte. Es ist eine Qual, Aram. Das Leben hat keinen geregelten Ablauf, keine Struktur. Halt mich fest!«
    In Wildheit vollendeten wir, was wir vorher nicht hatten zu Ende bringen können. Wir umschlangen uns erschöpft.
    »Was sollen wir tun?« rief ich. »Ich kann dich nicht so hin- und herzucken lassen!«
    »Du mußt. Ich kann nicht zulassen, daß du deinen Lebensunterhalt opferst!«
    »Aber –«
    Sie war verschwunden.
    Ich stand auf, zog mich an und eilte zurück nach Abu Simbel. In den Stunden vor der Morgendämmerung durchsuchte ich den Sand am Nil, kroch auf allen vieren, grub und siebte. Als die ersten Sonnenstrahlen über den Berg glitten, fand ich das Amulett. Ich hastete zurück ins Hotel. Selene war wieder aufgetaucht.
    »Leg es an«, befahl ich.
    »Nein. Ich kann dir nicht –«
    »Leg es an.«
    Sie verschwand. Jetzt plus n sagte: »Keine Angst. Alles wird wunderbar gut.«
    Selene kam zurück.
    »Ich war am übernächsten Freitag«, sagte sie. »Ich hatte eine Idee, mit der alles gerettet werden kann.«
    »Keine Ideen. Leg das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher