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Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Titel: Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Autoren: Campus
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möglichen Kombinationen probiert haben, wissen wir nicht, welche Hymnen zusammenpassen würden und welche nicht. Das gilt für jedes komplexe Umfeld. Bilden vielfältige Handlungsstränge ein kohärentes Muster oder schafft ihre gleichzeitige Präsenz lediglich Chaos?
    Jede Nationalhymne ist für jedes Land einzigartig. In welchem Maße muss ihre musikalische oder zeitliche Identität gewahrt bleiben? Die fallenden Noten in der Abbildung deuten auf Erosion hin. Die Zukunft lässt sich aus Rekombinationen vorhandener Noten (Aktionen) oder vielleicht aus einer neuen Quelle aufbauen, dem großen Notenhaufen am unteren Ende. Manche Akteure (Länder) werden dann eine Position in der neuen Welt im Violinschlüssel oder Bassschlüssel beansprucht haben. Andere werden noch nicht so weit im Voraus geplant haben, oder falls doch, haben sie ihre Absichten noch nicht publik gemacht. Wieder andere werden bereits Partner gefunden haben und an ihren eigenen Minikompositionen arbeiten, wie die Klammern zeigen.
    In dem Maße, wie die Partitur Gestalt annimmt, gibt es unterschiedliche Rollen, die verschiedene Akteure (Länder, Gruppen, Organisationen, Institutionen und Einzelne) übernehmen, anstreben oder konkurrierend besetzen, nämlich die des Komponisten, Dirigenten, Musikers, Publikums oder Kritikers. Wer wird die neue Partitur, Strategie oder das neue Geschäftsmodell schaffen? Wer wird bewährte Produkte und Dienstleistungen so auf den neuesten Stand bringen, wie ein Dirigent ein klassisches Stück für moderne Ohren neu interpretiert? Wer wird sich die Fähigkeiten aneignen, die es braucht, um die zur Umsetzung eines Plans, Programms oder Projekts notwendigen Schritte auszuführen? Wer wird die einzelnen Schritte perfekt ausführen? Wer wird dem Produzierten Beachtung schenken und es würdigen? Und wer wird das Geleistete schließlich beurteilen und kritisieren?
    Ein Grund, Wirtschaftsumgebungen als Partituren zu sehen, steckt in Jacques Attalis provokativer Behauptung:

    Musik ist Prophetie. Ihre Stilrichtungen und ihre ökonomische Organisation sind dem Rest der Gesellschaft voraus, weil sie wesentlich schneller, als es die materielle Wirklichkeit vermag, die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten in einer gegebenen Ordnung auslotet. Sie macht die neue Welt hörbar, die nach und nach sichtbar werden wird, die sich aufdrängen und die Ordnung der Dinge regulieren wird; sie ist nicht nur das Abbild der Dinge, sondern (…) Vorbote der Zukunft. « 5
    Er schließt: »Wenn es also stimmt, dass die politische Organisation des 20. Jahrhunderts im politischen Denken des 19. Jahrhunderts wurzelt, so ist das Letztere nahezu vollständig im Embryonalstadium bereits in der Musik des 18. Jahrhunderts vorhanden .« 6
    Wer Attalis Äußerungen für weit hergeholt hält, sollte sich die Musik von Charles Ives ansehen. Seine Vierte Symphonie, die zwischen 1908 und 1916 entstand, erfordert zwei Dirigenten, weil ihr Rhythmus so komplex ist. 7 Zu Ives’ typischen Techniken gehörte laut Lawrence Kramer »die Überlagerung (Schichtung) diverser Musikstile und Prozesse, das Zurückhalten zielgerichteter harmonischer Bewegung, die Fragmentierung von Material und die drastische Verkomplizierung der Struktur«. 8 Nach meiner Einschätzung befinden wir uns heute, ein Jahrhundert später, mitten in einer Ives’schen Partitur – einer Partitur, die eine neue Generation von Komponisten, Musikern und Analytikern braucht, um sie zu verstehen. Es ist immer schwierig, radikal neue Musik zu hören – ganz zu schweigen vom Können, das man braucht, um sie zu dirigieren.
    Die Partitur zur Neuen Welt des 21. Jahrhunderts erinnert uns daran, dass die für Timingfragen notwendigen Fähigkeiten nicht Entschlusskraft, Kalkül oder Urteilsvermögen sind. Selbstverständlich sind das alles Tugenden. Aber die relevantere Fähigkeit ist die Kunst, sich musikartige Muster, die sich durch die moderne Wirtschaftswelt ziehen und sie prägen, vorzustellen, zu finden und mit ihnen zu arbeiten. Wenn wir Zeit als Datum auf einem Kalender behandeln – wenn wir sie also von den Vorgängen und Ereignissen trennen , die in diesen Momenten stattfinden und das Wesen der Planung ausmachen –, wird es uns immer ein Rätsel bleiben, wann Dinge passieren. Wir können t nicht lösen, wenn T nicht Teil der Gleichung ist, wir können also nicht entscheiden, zu welcher Zeit (t) es zu handeln gilt, wenn unsere Beschreibung des Handlungskontextes nicht alle sechs Elemente der
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