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Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Titel: Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Autoren: Campus
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    Da keiner von uns Mozart ist, müssen wir Partiturdiagramme zeichnen, die hoch und breit genug sind, uns zu zeigen, was wir sehen müssen.
    Die Akteure (Spieler) mögen wechseln. Die UdSSR existiert nicht mehr. Um diese Tatsache nicht zu vergessen, habe ich Russland hinzugenommen. Diese Partitur erinnert uns daran, die neuen Akteure und das Verschwinden der alten Mitspieler (wie Lehman Brothers) im Auge zu behalten – und natürlich die Bedingungen, die sie hervorbringen oder zerstören.
    Alle Nationalhymnen habe ich in die Tonart der amerikanischen Hymne, D-Dur, transponiert. Die Tonart eines Musikstückes bestimmt das Ziel und den Bereich der Kräfte, die auf Handlungen (alle Noten und Akkorde) wirken und es in eine bestimmte Richtung (Tonika) bringen.Jede Tonart enthält nur einen Satz möglicher Noten (Aktionen). Das Konzept der Tonart verdeutlicht, dass zwischen Akteuren immer ein Wettbewerb darüber stattfindet, was Priorität haben sollte – etwa kurzfristige Profite, langfristige Wettbewerbsvorteile, die Behauptung in einer vorhandenen Marktlücke, Diversifizierung und so weiter.
    Manchmal sprechen wir davon, dass die Welt multipolar geworden ist. Diese Beschreibung ist insofern problematisch, als sie wenig Organisationskraft besitzt. Alles, was wir sehen, sind multiple Zentren, die auf vielfältige Weise um Einfluss konkurrieren. Dagegen bietet die Partitur eine sinnvolle Möglichkeit, Vorgänge zu begreifen. Sie veranschaulicht die vertikalen Beziehungen, durch die eine Handlungsweise andere beeinflussen, ergänzen, steuern oder mit ihnen konkurrieren kann. Zudem lenkt die Partitur unsere Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen Vorder- und Hintergrund, Melodie und Begleitung. Was heute den Hintergrund bildet, kann morgen im Vordergrund stehen.
    Da wir uns die vertikale Dimension der Welt nicht ohne weiteres vorstellen – und Muster in gleichzeitigen Vorgängen finden – können, schrumpfen wir die Vertikale zusammen, bis sie zu einer einzigen horizontalen Zeitschiene wird. Und da wir Schnelligkeit anstreben, verkürzen wir diese Linie zu einem Punkt . Wir denken kurzfristig: Wir wollen jetzt Resultate. Nach einer umgekehrten P4-Strategie (siehe Kapitel 8) sind wir von Patterns (Mustern) und Polyphonie zu einem einzelnen, zeitlich ausgedehnten Pfad und von dort zum einzelnen Punkt zurückgegangen. Damit haben wir die Vertikale beseitigt und die Horizontale geschrumpft. Infolgedessen leben wir in einer Ruine . Wir brauchen die P4-Strategie und die Darstellung in Form einer Partitur, um unser Weltbild wieder zu erweitern und aufzubauen – und zwar nicht etwa, um sie komplexer zu machen, sondern um die vorhandene Komplexität wiederherzustellen. Dieser Wiederaufbau ist notwendig, denn wenn wir aufgrund eines unvollständigen Bildes oder einer unvollständigen Karte handeln, laufen wir Gefahr, eine falsche Abzweigung zu nehmen oder, schlimmer noch, über eine Klippe zu stürzen, die wir rechtzeitig hätten erkennen können.
    Die Darstellung der Welt als polyphone, polyrhythmische Partitur verändert, wie wir über die Ursachen und Folgen von Ereignissen denken.Die meisten von uns verbringen sehr viel Zeit damit, die nächste Zeitperiode, die wir Zukunft nennen, ins Auge zu fassen. Wenn wir an die Folgen unserer Handlungen denken, stellen wir uns selbstverständlich eine Linie vor, auf der Vorhergehendes links und Konsequenzen – durch eine gewisse Zeitspanne getrennt – rechts stehen. Ganz ähnlich richten wir den Blick, wenn wir nach der Ursache eines Ereignisses suchen, in der Regel zurück auf das, was vorher war. Wenn wir sagen, A verursacht B, konzentrieren wir uns auf die horizontale Dimension der Partitur. Wir sind darauf fokussiert, was vorher (Ursache) und was nachher (Wirkung) kommt. Das ist gut und schön, aber wir sollten auch auf das achten, was in der Vertikale passiert, also auf das, was gleichzeitig vorgehen muss und was nicht gleichzeitig eintreten darf. Das bedeutet: Wir müssen auf Akkorde und Akkordfolgen achten. Wenn jemand eine Erklärung liefert oder eine Vorhersage macht, ohne zu erwähnen, was gleichzeitig an sukzessiven Zeitpunkten passiert, wissen Sie, dass er oder sie wahrscheinlich falsch liegt oder nur zufällig Recht hat.
    So war es ein glücklicher Zufall, dass die »Musikberaterin«, mit der ich zusammengearbeitet habe, sich entschloss, die Hymnen der USA, Kanadas und Mexikos sowie die Frankreichs und Deutschlands gleichzeitig zu spielen. Da wir nicht alle
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