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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes
Autoren: Nadine Kühnemann
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letzten Besuch vor einigen Jahren wenig verändert, lediglich die Bäume, die den Weg säumten, waren ein beträchtliches Stück gewachsen.
    Das mehrstöckige Haupthaus der Palastanlage war mit detailverliebtem Stuck verziert und entlockte dem Betrachter zumeist einen Laut der Entzückung. Wie die gesamte Stadt war der Wohnsitz des Königs eine Demonstration valanischer Überlegenheit, doch Cirnod hatte für derlei Schnickschnack wenig übrig.
    Die linke Hälfte der über zwei Manneslängen hohen Flügeltür am Ende der Treppe zum Haupteingang öffnete sich und schwang mit einem Knarren zur Seite. Ein hagerer Mann mit drahtigen Gliedern und dunkelbraunen Locken erschien auf der Schwelle. Neben ihm klammerte sich ein Junge, der ihm gerade bis zur Mitte seines Oberschenkels reichte, an sein Bein. Das Kind plärrte, sein Gesicht war vom Weinen ganz rot. Der Mann würdigte den Jungen keines Blickes. Als er Cirnod sah, zog er überrascht die Augenbrauen hoch.
    »Priester, Sie sind spät. Fast alle geladenen Gäste sind schon in der großen Halle oder zumindest auf dem Weg dorthin.«
    »Die Achse der Kutsche ist gebrochen, als wir die Sümpfe passierten«, sagte Cirnod . Er schnaufte vor Anstrengung, wandte sich um und wies die ebenso stark schnaufenden Bediensteten an, die Koffer die Treppe hinaufzutragen. Er sah keinen Grund, weshalb sie weiter hinter ihm herschleichen sollten und womöglich noch unter ihrer Last zusammenbrachen.
    Die Diener warfen sich verstörte Blicke zu, setzten sich aber zögernd in Bewegung und steuerten auf die Treppe zu.
    »Ich möchte mich nur kurz erholen und waschen, dann komme ich in die große Halle«, sagte Cirnod , während er noch den Dienern hinterherblickte.
    Der Dunkelhaarige runzelte die Stirn. Anscheinend traute er sich nicht, Priestern zu widersprechen. Der kleine Junge an seinem Bein hatte indes aufgehört zu weinen, stattdessen litt das Kind nun an einem Schluckauf. Der Mann verdrehte die Augen, beugte sich zu dem Kind hinab und hob es auf den Arm.
    Cirnod hatte den Fuß der Treppe erreicht. Er umfasste das Geländer und zog sich die erste Stufe hinauf.
    »Lassen Sie mich Ihnen doch helfen«, sagte der Mann und stürzte ihm entgegen. »Mein Name ist übrigens Restair Loaton , wie unhöflich, dass ich mich nicht vorgestellt habe.« Er deutete eine Verbeugung an.
    »Ich schaffe das allein«, grummelte Cirnod . »In Ceregrym gibt es mehr Treppen als hier, das können Sie mir glauben.«
    Mr. Loaton deutete ein unbeholfenes Lächeln an. Das Kind begann , erneut zu jammern. Cirnod mochte Kinder. Eigentlich. Bloß gab es im Kloster nur wenige, zumindest nicht in diesem Alter. Die Klosterschüler waren alle bereits den Windeln entschlüpft. Er war die Stille dort gewohnt.
    »Und wer ist der kleine Mann?«, fragte Cirnod , während er die letzte Treppenstufe erklomm.
    »Das ist Jonneth Venell .« Für einen kaum wahrnehmbaren Augenblick verdrehte Restair die Augen. »Seine Eltern haben nicht die Muße, sich um seine Erziehung zu kümmern.«
    Cirnod tat einen tiefen Atemzug, als er endlich die letzte Treppenstufe bewältigt hatte und vor dem Haupttor stand. Schweiß rann ihm den Rücken hinab. Es war ein wirklich heißer Tag.
    »Ich kann mich nicht erinnern, zu seiner Taufe eingeladen worden zu sein.« Er kannte die Venells nur vom Hörensagen. Doch was er gehört hatte, war niemals schmeichelnd gewesen. Die meisten Geschichten hatte er als groben Unfug abgetan. Eine derart unsympathische und gotteslästerliche Familie konnte es nicht geben. Nicht unter den Angehörigen seines Volkes. Die Firunen huldigten ihren eigenen Göttern, sie bekehren zu wollen, war vergebliche Liebesmüh. Cirnod hatte diese Hoffnung längst begraben.
    Als Restair kurz die Lippen aufeinanderpresste und sein Blick nervös von rechts nach links zuckte, beschlich Cirnod ein unaussprechlicher Verdacht.
    »Sie haben ihn nicht taufen lassen«, sagte Restair kaum hörbar, als befürchtete er, der b armherzige Gott könnte ihn hören.
    Ein Schreck fuhr Cirnod durch die Glieder. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Laut wollte ihm über die Lippen kommen. Ein Valane , der sein Kind nicht taufen ließ, beging einen furchtbaren Frevel. Er hatte viel Schlechtes von den Venells gehört, aber dass sie den Mut besäßen, ihren einzigen Sohn nicht taufen zu lassen, überstieg sein Vorstellungsvermögen.
    Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, nur durchbrochen vom fortwährenden Weinen des kleinen Jonneth
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