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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes
Autoren: Nadine Kühnemann
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Worte. War dies etwa Kritik am Königshaus? Noch ehe er seine Sprache wiedergefunden hatte, fuhr Jaham fort: »Mein werter Vetter macht bis heute sogar ein Geheimnis daraus, wie das Kind heißen soll. Wir wissen nicht einmal, ob es ein Knabe oder ein Mädel ist.«
    Jahams Frau Annah Venell betrachtete Jaham mit spitzen Lippen von der Seite und zog die Augenbrauen verärgert zusammen, als wollte sie ihn zur Räson bringen, doch ihr Gatte bemerkte es nicht.
    Cirnod räusperte sich. »Es ist durchaus im Sinne der Zeremonie, dass das Kind vorher niemandem präsentiert wird. Das ist Tradition.«
    Jaham machte eine abwertende Handbewegung. »Tradition, Tradition. Wir leben in modernen Zeiten. Alloret sollte das endlich einsehen. Ich hätte an seiner Stelle diese ganzen alten Bräuche längst verbannt.« Jahams kalte Augen zogen sich noch enger zusammen. »Und den Firunen hätte ich auch längst gezeigt, wo der Wind weht.«
    Cirnod glaubte kaum, was er da hörte. Ein Ketzer und ein Verräter. Hoffentlich war es bloß Jahams arroganter und wichtigtuerischer Art zu verdanken, dass er so schlimme Dinge sagte.
    Auch Annah konnte sich nun nicht mehr ruhig auf ihrem Stuhl halten. » Jaham , lass gut sein. Sprich nicht so vor unserem Kind.«
    »Du hältst dein Maul.«
    Cirnod zuckte unweigerlich zurück, obwohl die Schelte nicht ihm gegolten hatte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es einen einzigen Valanen in ganz Yel gab, der sich traute, öffentlich gegen den b armherzigen Gott und das Königshaus zu wettern.
    Jaham wandte sich ihm wieder zu, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen. Er schien zu bemerken, wie sehr er ihn mit seinen Worten kränkte, und auch wenn Cirnod es kaum glauben konnte, bereitete es Jaham wohl Vergnügen. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich hätte den Firunen längst ihre dummen Widerworte aus dem Kopf geschlagen.«
    Auf solch eine Debatte wollte er sich nicht einlassen. Politik ging die Kirche nichts an. Und er stellte die Entscheidungen von Alloret Durvin nicht infrage. Solch ein Frevel!
    »Lieber Mr. Venell «, sagte Cirnod in ruhigem Ton, »ich denke nicht, dass ich der richtige Gesprächspartner für derlei Erörterungen bin. Wie Sie wissen, leben die Firunen schon wesentlich länger in diesem Land als wir. Der König hat Friedensabkommen mit einigen ihrer Stämme geschlossen, ich denke, er weiß am besten, was zu tun ist.«
    Jaham verschränkte die Arme vor der Brust, wandte sich wieder nach vorn und starrte in die Menge als spürte er, dass Cirnod ihm keine weitere Beachtung schenken würde. Gerade, als sich auch Cirnod der weiteren Musterung der anwesenden Edelleute widmen wollte, erlosch das Licht. Im ersten Moment glaubte er, seine Augen spielten ihm einen Streich und die Hitze im Saal würde ihm das Bewusstsein rauben, doch dann gellten Schreie. Alle zwanzig Gaslampen waren gleichzeitig erloschen, es war stockfinster im Saal. Wie konnte das möglich sein? Das Weinen des kleinen Jonneth ‘ mischte sich in das anschwellende Chaos. Stühle fielen klappernd zu Boden, Stimmen übertönten sich. Cirnod saß da wie angewurzelt, unfähig, sich zu bewegen.
    »Jemand hat meinen Mann umgebracht«, kreischte eine Frau. Jemand anderes rief: »Macht doch das Licht endlich wieder an.« Es polterte von überall her. Auch Jaham schien sich von seinem Stuhl erhoben zu haben, denn Cirnod spürte einen Luftzug neben sich. Erst jetzt bemerkte er, dass sämtliche Vorhänge zugezogen waren. Es war doch helllichter Tag draußen. Hexerei! Oder ein schlechter Scherz. In jedem Fall musste es ein von irgendwem geplanter Zwischenfall sein. Wie konnten zwanzig Lampen zugleich erlöschen?
    Endlich schaffte es jemand, einen der drei schweren Vorhänge beiseite zu ziehen. Licht fiel in den Saal. Cirnod griff sich ans Herz, das in einem wilden Rhythmus gegen seine Rippen hämmerte. Mit zittriger Hand fuhr er sich über das schweißnasse Gesicht. Er schnappte nach Luft, denn der Schreck hatte ihn das Atmen vergessen lassen. Seine Glieder fühlten sich mit einem Mal bleischwer an.
    Er war der Einzige, der noch auf seinem Stuhl verharrte. Von seinem erhöhten Platz auf dem Podest überblickte er das volle Ausmaß der Panik. Er betete zum b armherzigen Gott, dass es ein Irrtum sein mochte. Doch auch Blinzeln und Schlucken vertrieb das markerschütternde Getöse und das Gemetzel nicht.
    Einige Gäste fuchtelten mit langen Messern um sich, als bahnten sie sich einen Weg durch Pflanzengestrüpp. In ihren Gesichtern
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