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Jenseits des Meeres

Titel: Jenseits des Meeres
Autoren: Ruth Langan
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Engel hoben sie so liebevoll in die Höhe, als wäre sie ein kleines Kind. Starke Arme wiegten sie in einem warmen Kokon.
    Sie hörte ein Herz pochen. Ihres? Es musste ihres sein. Engel hatten ja kein Herz. Doch dieses kräftige, gleichmäßige Schlagen empfand sie als ungemein tröstlich. Möglicherweise hörte sie es ja zum letzten Mal.
    Da nahm sie den vertrauten Moschusduft wahr. Also war auch ihr Vater bei ihr. Sie fühlte, wie seine starken Arme sie an seine Brust drückten, fühlte seinen Umhang rau und kratzig an ihrer Wange. Der Stoff roch ein wenig nach Pferden und Feldern.
    Vater - irgendwie hatten die Engel es geschafft, ihn zu ihrem Empfang herzubringen. Ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen, und seufzend schlang sie ihm die Arme um den Nacken. Ihr Schmerz war jetzt vergessen. Sie befand sich bei den Engeln. Und bei ihrem Vater. Friede war um sie her.
    Kieran betrachtete die junge Frau in seinen Armen. Blut verklebte ihr Haar, und ihr Gesicht war blass. Sie erschien ihm so zerbrechlich und so hilflos wie ein verwundetes Vögelchen. Doch ihr Erscheinungsbild täuschte. Er hatte gesehen, wie furchtlos sie ihrem Feind gegenübergetreten war.
    Sie sei von edler Geburt, hatte der Jüngling gesagt.
    Kieran hatte keinen Grund, ihm das nicht zu glauben ... Allerdings war ihm noch keine hochgeborene Frau begegnet, die wie ein Mann zu fechten verstand.
    Er musste an seine Mutter denken, die als adelige Engländerin an den Luxus höfischen Lebens gewöhnt war. Obwohl sie aus Liebe zu ihrem irischen Gemahl viel aufgegeben hatte, konnte Kieran sich nicht vorstellen, wie diese adelige Lady einen Säbel gegen Invasoren schwang ...
    Er hörte die junge Schottin seufzen und sah das Lächeln, das auf ihren Lippen lag. Wo mochte sie sich wohl gerade in Gedanken befinden? Hoffentlich an einem freundlicheren Ort als an dieser blutigen Stätte, welche sie gerade verlassen hatte, dachte er. Sollte sie ihren Schmerz auch nur für wenige Minuten vergessen haben, wäre das schon ein Segen, denn wenn sie in die Welt der Lebenden zurückkehrte, würde sie die Verletzungen nicht mehr ignorieren können.
    Kieran sorgte sich wegen ihrer Wunden. Andererseits war die junge Frau eine Kämpferin, und er vermutete, als solche würde sie nicht so einfach in die andere Welt treten. Er zog sie sich wieder an die Brust und schlang die Arme um sie, um sie warm zu halten. Dann gab er seinem Pferd die Sporen.
    Während sie durch den Wald ritten, sah Kieran in der Ferne gelegentlich Schlösser, alte Burgen oder Herrenhäuser auftauchen und fragte sich, welches davon wohl der Frau in seinen Armen gehörte. Weil er so lange in Fleet gewesen war, wo er nicht hatte sprechen dürfen, spürte er nun das Bedürfnis zu reden. Das Mädchen konnte ihn zwar nicht hören, doch das spielte keine Rolle. Die Freiheit zu sprechen war ihm zu kostbar.
    „Deine Leute werden dich bald vermissen, Mädchen. Man wird sich Gedanken machen, und dann wird man sich um dich sorgen. Möglicherweise wird man Soldaten ausschicken, um nach dir und deinem Begleiter zu suchen.“
    Kieran warf einen Blick auf die junge Schottin, die friedlich in seinen Armen ruhte. „Ich würde meine Bürde gern denen überlassen, die sich dann um dich kümmern.“ Das war natürlich gelogen, denn im Moment war sie überhaupt keine Bürde. Sie in den Armen zu halten empfand er durchaus als etwas ungemein Angenehmes, angenehmer, als er es sich selbst eingestehen wollte. Wann hatte er zuletzt eine Frau so dicht an seinem Herzen geborgen?
    „Leider darf ich mich jedoch nicht zu erkennen geben. Es gibt Leute, die mich unbedingt in ein englisches Gefängnis und vor die englische Justiz bringen wollen. Und falls sie dir dabei etwas antäten, wären sie auch nicht traurig. Obwohl ich also deinen Leuten viel Glück bei der Suche nach dir wünsche, muss ich leider während dieser Reise im Wald verborgen bleiben. Und jeder, der mich herausfordert, bekommt es mit meiner Waffe zu tun.“
    Die Gestalt in seinen Armen seufzte und schmiegte sich näher an seine Brust. Das Gefühl großer Freude durchflutete ihn, doch er bemühte sich, es zu unterdrücken. Schließlich war die Frau bewusstlos und hatte keine Ahnung, was sie tat. Andererseits war sie unbestritten eine wirkliche Schönheit, und sie nur in den Armen zu halten machte ihn wahrhaft frei...
    Ihm war natürlich klar, dass sie ihn nicht gehört hatte, doch mit ihr zu sprechen vermittelte ihm das seltsame Gefühl, völlig unabhängig zu sein.
    Die
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