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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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willensstarken Kind hatte sie sich zum Schatten ihrer selbst entwickelt. Die Anwesenheit ihrer Lehrerin genügte, um sie in eine Art inneres Kinderzimmer zu verbannen.
    Sie starrte die unauffällige Frau mit den scharfen, kritischen Augen an und bemerkte, dass sie bereits eine Weile gescholten wurde. Es war das erste Mal, dass Catrin nicht zugehört hatte. Stattdessen hatte sie die Position überlegener Macht der Gouvernante als Hauptwärterin in Lucillas schrecklichem Kerker-Haushalt begriffen.
    Catrin hatte eine erhebliche Anzahl Gouvernanten durchlitten, manche waren nett, manche weniger liebenswert. Doch diese war mit geradezu heimtückischer Präzision ausgesucht worden. Sie war gut in ihrem Beruf, beinahe unerreicht. Selbst Catrins Vater hätte sie bewundert, wenn er seiner Tochter noch ein Fünkchen Interesse entgegengebracht hätte.
    Wie zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke. Es gab nichts mausgrau Farbloses an der Lehrerin, die ihr Harfe beibringen wollte. Ihr Blick war eher der eines Raubtieres. Die Worte verklangen. Es war, als durchschnitte die Stille einer Guillotine gleich die Luft zwischen ihnen in zwei unterschiedliche Realitäten. Catrin verstand einige der letzten Sätze aus dem Echo, das in ihrem Kopf noch nachhallte. Sie sah, dass auch Miss Colpin etwas verstanden hatte. Die Lehrerin hatte ihr Begreifen keinesfalls angestrebt und hieß es auch nicht gut. Verstehen statt Wissensanhäufung. Irgendetwas hatte eine Schneise geschlagen mitten durch Abertausende nutzloser Worte.
    „Geh auf dein Zimmer!“, befahl die Lehrerin mit kalter Stimme, und Catrin musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um sich nicht sofort in Bewegung zu setzen. Ihr ganzer Körper war auf Gehorsam geeicht. Sich zu widersetzen, einfach „Nein!“ zu sagen, war nur eine ferne Möglichkeit, kaum erreichbar und doch unerhört wichtig. Sie fragte sich, warum das so war. Emotionen fielen auseinander wie Kristallscherben.
    So blieb sie stehen, starrte störrisch die graubraune Frau mit dem unauffälligen Haar an, deren Frisur oder auch nur Farben man kaum adäquat beschreiben konnte, selbst während man sie noch ansah. Deren glanzlose Augen sich kaum je oft genug schlossen und deren ganzer Körperbau irgendwie genau zwischen zu groß und zu klein, zu dünn und zu dick, zu hübsch und zu unansehnlich angesiedelt war. Nur die Stimme und die schneidenden Worte blieben einem in Erinnerung, wenn man sie gerade nicht ansah.
    „Sie Hexe!“, zischte Catrin und merkte erst, was sie gesagt hatte, als der Klang ihrer eigenen Stimme von den Harfensaiten zurückvibrierte. Die Worte waren aus ihr hervorgebrochen wie eine Explosion, eine Detonation plötzlicher Einsicht.
    Diesmal blinzelte die Frau vor ihr. Sie tat es langsam und bewusst, aber sah dabei nicht sonderlich erstaunt aus. Nicht einmal ärgerlich.
    Vielmehr schien sie amüsiert. Es musste das erste Mal sein, dass sie ihre Lehrerin lachen sah. Ihr Gesicht verzog sich, verlor etwas von seiner rigiden Distanziertheit. Einen einzigen Augenblick lang glitzerten die Augen belustigt. Eine plötzliche Schönheit schien damit über die Frau zu kommen, vollkommen unerwartet. Die Harfensaiten hallten wider, als ihr stählernes Lachen auf sie traf, und Catrin wich vor ihr zurück, fand diesen plötzlichen Ausbruch von Heiterkeit noch beängstigender als alles zuvor.
    Die Heiterkeit hielt nicht lange an, und doch hatte sich nun etwas zwischen ihnen geändert. Die unwillige Aktrice, der man die Rolle des dummen Kindes zugedacht hatte, hatte aus dem Stegreif das Skript umgeschrieben.
    „Dein Vater muss in deiner Erziehung weit gefehlt haben, wenn du tatsächlich an Hexen glaubst“, sagte die Gouvernante, die so plötzlich mit dem Lachen aufhörte, wie sie angefangen hatte. „Hast du Stunden beim Küchenpersonal genommen? So viel Aufwand, um dich zu erziehen – und was ist das Resultat? Nichts. Die Tochter eines der intelligentesten Männer deines Landes glaubt an Spukgeschichten. Was wirst du als Nächstes sehen? Kobolde und tanzende Elfen? Ich muss schon sagen, ich bin froh, dass deine Mutter deine Einführung in die Gesellschaft verschoben hat. Dein kindisches Benehmen und deine infantilen Ansichten wären für deinen Vater allzu peinlich geworden.“
    „Mein Vater liebt mich!“, gab Catrin zurück und merkte selbst, wie kindisch sie klang. „Aber diese Frau ist nicht meine Mutter. Sie ist überhaupt keine Mutter. Sie ist eine He…“
    „Ach? Ist sie jetzt auch noch eine Hexe? Vielleicht
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