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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen
Autoren: Clive Barker
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warteten, lag die Schuld schwer auf ihnen, und je mehr ihre Wunden heilten, desto schwerer wurde die Last, weil ihnen bewußt wurde, daß sie, anders als viele Bewohner des Grove, ohne körperliche Schäden aus der Sache herausgekommen waren.
    Am siebenten Tag nach den Ereignissen in Kissoons Schleife erfuhren sie aus den Nachrichten, daß Suchtrupps in die Stadt vordrangen. Die Vernichtung des Grove war selbstverständlich eine aufsehenerregende Geschichte gewesen, und es wurden die verschiedensten Theorien aufgestellt, weshalb nur diese Stadt für derlei Verwüstungen ausgesucht worden war,
    wogegen der ganze Rest des Tals mit einigen schwachen Erdstößen und ein paar Rissen in den Straßen davongekommen war. Kein Bericht brachte etwas über die Ereignisse in Coney Eye; Druck von seiten der Regierung hatte alle zum Schweigen gebracht, die das Unmögliche mit eigenen Augen gesehen hatten.
    Anfangs kehrten die Leute nur zögernd in den Grove zurück, aber am Ende dieses Tages war eine große Zahl Überlebender in der Stadt und versuchte, Andenken und Souvenirs aus den Trümmern zu retten. Manche hatten Glück. Die meisten nicht.
    Auf jeden Einwohner des Grove, der zurückkehrte und sein Haus unversehrt fand, kamen sechs, die völlige Verwüstung vorfanden. Alles eingestürzt, zertrümmert oder schlicht und einfach im Erdboden verschwunden. Das Viertel mit den wenigsten Schäden war paradoxerweise das mit den wenigsten Einwohnern: das Einkaufszentrum und seine unmittelbare 775
    Umgebung. Das polierte Schild Einkaufszentrum Palomo Grove neben der Einfahrt des Parkplatzes war in ein Loch gestürzt, ebenso ein Teil des Parkplatzes selbst, aber die Geschäfte waren weitgehend unbeschädigt, was natürlich zur Folge hatte, daß Ermittlungen wegen zweier Mordfälle
    aufgenommen wurden - die nie aufgeklärt werden sollten -, als man die Leichen in der Tierhandlung fand. Abgesehen von den Leichen jedoch, hätte das Einkaufszentrum an diesem Tag nach etwas Abstauben aufmachen können, wären noch Bewohner dagewesen, um einzukaufen. Marvin jr. von Marvin's Food and Drug war der erste, der für den Abtransport der unverdorbenen Ware sorgte. Sein Bruder besaß einen Laden in Pasadena, und der Kundschaft war es egal, woher die Ware kam. Er
    entschuldigte sich nicht dafür, mit welcher Hast er sich an die Plünderung machte; Geschäft war schließlich Geschäft.
    Was sonst noch aus dem Grove weggeschafft wurde, und das war eine grimmigere Aufgabe, waren natürlich die Leichen.
    Hunde und schallempfindliche Ausrüstung wurden gebracht, um nach möglichen Überlebenden zu suchen, aber sämtliche Bemühungen blieben ergebnislos. Danach kam das grausige Unternehmen, die Toten zu bergen. Aber nicht alle Einwohner, die ums Leben gekommen waren, wurden gefunden. Als fast zwei Wochen nach Beginn der Suchaktion erste Berechnungen angestellt wurden, blieben einundvierzig Bewohner der Stadt verschollen. Die Erde hatte sie für sich beansprucht und sich über ihren Leichen geschlossen. Oder die fraglichen Personen hatten sich in der Nacht davongeschlichen und die Gelegenheit genützt, irgendwo ein neues Leben anzufangen. Zur letzteren Gruppe, munkelte man, gehörte William Witt, dessen
    Leichnam nie gefunden wurde, in dessen Haus man aber eine Pornosammlung entdeckte, die ausgereicht haben würde, die Rotlichtbezirke mehrerer Großstädte wochenlang zu versorgen.
    Er hatte ein geheimes Leben geführt, dieser William Witt, und es herrschte allgemeine Übereinstimmung, daß er
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    weggegangen war, um dieses Leben anderswo fortzusetzen.
    Als eine der beiden Leichen in der Tierhandlung als die von Jim Hotchkiss identifiziert wurde, merkten ein oder zwei der gewissenhafteren Journalisten, daß dies ein Mann war, dessen Leben von Tragödien überschattet gewesen war. Seine Tochter, erinnerten sie ihre Leser, hatte zum sogenannten Bund der Jungfrauen gehört, und als sie darüber berichteten, schrieben sie auch einen Absatz darüber, wieviel Kummer der Grove in seiner kurzen Existenz erlebt hatte. War er von Anfang an zum Untergang verurteilt gewesen, fragten die fantasievollen Berichterstatter, da auf verfluchtem Boden erbaut? Dieser Gedanke spendete einen gewissen Trost. Wenn es nicht so war, wenn der Grove nur das Opfer des Zufalls war, wie viele Orte überall in Amerika konnten dann Opfer ähnlicher
    Verwüstungen werden?
    Am zweiten Tag der Suche wurde der Leichnam von Joyce McGuire in den Ruinen ihres Hauses gefunden, das deutlich schlimmere
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