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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen
Autoren: Clive Barker
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festzuhalten, und danach war er aus seinem Körper gerissen worden und erledigte diese Pflicht in blindem Entsetzen, bis sie die Tür aufgemacht hatte. Sie mußte ihm ebensowenig sagen, welche Tat sie als nächstes gemeinsam begehen mußten, wie er ihr seine Geschichte erzählen mußte.
    Er verstand alles, wie sie.
    Sie ging zur Tür zurück und machte sie auf.
    Der Vorhang der Iad war mittlerweile so hoch, daß sein Schatten über die Hütte fiel. Immer noch fielen ein paar Sonnenstrahlen hindurch, aber keiner in der Nähe der
    Schwelle, auf der Tesla stand. Hier herrschte nur Dunkelheit.
    Sie sah zu dem Schleier und erkannte die Iad, die sich dahinter versammelten. Ihre Umrisse glichen Gewitterwolken, ihre Gliedmaßen waren wie Peitschen, die gedacht waren, Berge damit zu prügeln.
    Jetzt, dachte sie. Oder nie. Laß den Augenblick los.
    Laß - ihn - los.
    Sie spürte, wie Raul gehorchte, seine Willenskraft gab den Halt frei und streifte die Last ab, die Kissoon ihm auferlegt hatte. Eine Woge schien von ihnen zu dem Turm zu verlaufen, hinter dem die Iad aufragten. Nach jahrelangem Aufhalten wurde die Zeit freigesetzt. Fünf Uhr dreißig am sechzehnten Juli war nur noch Augenblicke entfernt, ebenso das Ereignis, welches diesen unschuldigen Augenblick als Anfang des letzten Wahnsinns der Menschheit kennzeichnete.
    Sie mußte an Grillo, Jo-Beth und Howie denken und drängte 765
    sie förmlich durch den Ausgang und in die Sicherheit des Kosm, aber ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als
    Helligkeit im Herzen der Schatten aufleuchtete. Sie konnte den Turm nicht sehen, wohl aber die Schockwelle, die von seiner Plattform ausging, den Feuerball, der sichtbar wurde, und den zweiten Blitz, der einen Sekundenbruchteil später aufleuchtete, das grellste Licht, das sie je gesehen hatte, binnen eines Augenblicks von Gelb zu Weiß...
    Wir können nichts mehr tun, dachte sie, während das Feuer obszön anschwoll. Ich könnte nach Hause gehen.
    Sie stellte sich vor, wie sie - Frau, Mann und Affe in einer Person - auf der Schwelle der Hütte stand und das Licht der Bombe ihr ins Gesicht schien. Dann stellte sie sich dasselbe Gesicht und den Körper an einem anderen Ort vor. Sie hatte nur Sekunden Zeit. Aber Gedanken waren schnell.
    Jenseits der Wüste sah sie, wie die Handlanger der Iad den Schleier beiseite zogen, doch die grelle Wolke dehnte sich aus und verdeckte sie. Ihre Gesichter waren wie Blumen, so groß wie Berge, deren Kelche und Schlünde sich öffneten, öffneten, immer weiter öffneten. Es war ein erschreckender Anblick, ihre Unermeßlichkeit schien Labyrinthe zu enthalten, deren Innerstes nach außen gekehrt wurde, während sie sich enthüllten.
    Tunnel wurden zu Türmen aus Fleisch, wenn sie Fleisch hatten, und veränderten sich wieder und wieder, so daß jeder Teil von ihnen konstanter Verwandlung unterlag. Wenn ihre Gier tatsächlich Einmaligkeit war, dann als Erlösung von diesem unablässigen Strom.
    Berge und Flöhe, hatte Jaffe gesagt, und jetzt sah sie, was er damit gemeint hatte. Die Iad waren entweder eine Rasse von Leviathans, auf denen eine Unzahl Parasiten hausten,
    weswegen sie immerzu ihre Eingeweide öffneten und sich der vergeblichen Hoffnung hingaben, sie könnten sie loswerden, oder aber sie waren die Parasiten selbst - so zahlreich, daß sie Berge nachahmten. Was von beidem zutraf, würde sie diesseits 766
    des Lebens oder Trinity nicht mehr erfahren. Bevor sie die zahlreichen Gestalten interpretieren konnte, die sie annahmen, verbarg die Explosion sie und brannte ihr Geheimnis aus.
    Im selben Augenblick verschwand Kissoons Schleife, die ihre Aufgabe in einer Weise erfüllt hatte, die ihr Schöpfer niemals vorhersehen konnte. Wenn die Errungenschaft auf dem Turm die Iad nicht völlig vernichtete, so waren sie dennoch dahin, ihr Wahnsinn und ihre Gier in einem einzigen
    Augenblick verlorener Zeit eingeschlossen.
    767
    VIII

    Als Howie, Jo-Beth und Grillo die Region an der Grenze der Schleife erreicht hatten, die winzige Zeitspanne diesseits oder jenseits von 5.30 Uhr am 16. Juli 1945, die Kissoon erschaffen und beherrscht hatte und deren Gefangener er gewesen war, er-blühte hinter ihnen ein Licht. Nein, nicht erblühte. Pilze hatten keine Blüten. Keiner drehte sich um, aber sie verlangten ihren erschöpften Körpern eine letzte übermenschliche Anstrengung ab, die sie, mit dem Feuer im Rücken, in die Sicherheit der Echtzeit brachte. Sie lagen auf dem Wüstenboden und konnten sich lange Zeit nicht
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