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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen
Autoren: Clive Barker
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wie der erste und drang ins linke Auge ein. Er stieß das Messer bis zum Heft hinein und zog es wieder heraus.
    Kissoon schlug um sich, sein Stöhnen wurde zum Schluchzen, er fiel auf die Knie. Jaffe umklammerte das Messer mit beiden Händen und richtete einen dritten Hieb auf den Kopf des Schamanen; dann stieß er immer wieder zu und riß durch die Wucht seiner Stöße eine Wunde nach der anderen. Kissoon hörte so plötzlich zu schluchzen auf, wie er angefangen hatte.
    Seine Hand, die er zum Kopf gehoben hatte, um weitere Hiebe abzuwehren, sank herunter. Der Körper blieb noch zwei Herzschläge aufrecht. Dann kippte er um.
    Ein Beben der Freude lief durch Tesla, das nicht von größter Lust zu unterscheiden war. Sie wollte, daß die Bombe in 757
    diesem Augenblick detonierte und die Erfüllung gleichzeitig mit der ihren fand. Kissoon war tot, und es wäre nicht schlecht, jetzt auch zu sterben, mit der Gewißheit, daß die Iad im selben Augenblick hinweggefegt werden würden.
    »Los doch«, sagte sie zu der Bombe und versuchte, die Lust, die sie empfand, zu erhalten, bis ihr das Fleisch von den Knochen gebrannt wurde. »Los doch, ja? Warum gehst du nicht hoch?«
    Aber es gab keine Explosion. Sie spürte, wie die Lust aus ihr wich und von der Erkenntnis verdrängt wurde, daß sie einen entscheidenden Faktor in alledem übersehen hatte. Da Kissoon tot war, mußte doch sicher das Ereignis eintreten, das er all die Jahre lang mit soviel Schweiß verhindert hatte? Jetzt; ohne Verzögerung. Aber es geschah nichts. Der Stahlturm stand immer noch.
    »Was habe ich übersehen?« fragte sie sich. »Was in Gottes Namen habe ich übersehen?«
    Sie sah zu Jaffe, der immer noch auf Kissoons Leichnam hinuntersah.
    »Synchronizität«, sagte er.
    »Was?«
    »Das hat ihn umgebracht.«
    »Das scheint das Problem aber nicht gelöst zu haben.«
    »Welches Problem?«
    »Dies ist Punkt Null. Dort ist eine Bombe, die nur darauf wartet zu detonieren. Er hat diesen Augenblick aufgehalten.«
    »Wer?«
    »Kissoon! Ist das nicht offensichtlich?«
    Nein, Baby - sagte sie zu sich - das ist es nicht.
    Selbstverständlich nicht. Plötzlich dachte sie daran, daß Kissoon die Schleife in Rauls Körper verlassen hatte und zurückkommen wollte, um seinen eigenen zurückzufordern.
    Draußen im Kosm konnte er diesen Augenblick nicht
    aufgehalten haben. Jemand anders mußte es an seiner Statt 758
    getan haben. Und dieser jemand, diese Seele, tat es immer noch.
    »Wohin gehen Sie?« wollte Jaffe wissen, als sie sich in Richtung der Wüste jenseits des Turms in Bewegung setzte.
    Konnte sie die Hütte überhaupt finden? Er folgte ihr und stellte unablässig Fragen.
    »Wie haben Sie uns hierher gebracht?«
    »Ich habe alles verschlungen und wieder ausgespuckt.«
    »Wie meine Hände?«
    »Nein, nicht wie Ihre Hände. Ganz und gar nicht.«
    Die Sonne wurde vom Schirm der Klumpen verdeckt, nur an manchen Stellen schien ihr Licht durch.
    »Wohin gehen wir?« wiederholte er.
    »Zur Hütte. Kissoons Hütte.«
    »Warum?«
    »Kommen Sie einfach mit. Ich brauche Hilfe.«
    Ein Schrei in der Dunkelheit bremste ihr Vorankommen.
    »Papa? «
    Sie drehte sich um und sah Tommy-Ray, der aus dem
    Schatten auf eine beleuchtete Stelle trat. Die Sonne war seltsam gnädig mit ihm und überstrahlte mit ihrem Schein die
    schlimmsten Details seines verwandelten Zustands.
    »Papa?«
    Jaffe folgte Tesla nicht mehr.
    »Kommen Sie«, drängte sie ihn, aber sie wußte bereits, daß sie ihn zum zweiten Mal an Tommy-Ray verloren hatte. Das erste Mal an seine Gedanken. Nun an seine Präsenz.
    Der Todesjunge stolperte auf seinen Vater zu.
    »Hilf mir, Papa«, sagte er.
    Der Mann breitete die Arme aus und sagte nichts, was auch nicht erforderlich war. Tommy-Ray fiel in die Umarmung und hielt seinerseits Jaffe umklammert.
    Tesla bot ihm eine letzte Gelegenheit, ihr zu helfen.
    »Kommen Sie jetzt mit oder nicht?«
    759
    Die Antwort war einfach. -
    »Nein«, sagte er.
    Sie vergeudete keine Atemluft mehr für das Thema. Der Junge hatte ältere Rechte, Ur-Rechte. Sie sah, wie sie einander fester drückten, als wollten sie einander die Luft aus den Lungen pressen, dann drehte sie sich wieder zu dem Turm um und fing an zu laufen.
    Sie verbot sich zwar Blicke zurück, doch als sie an den Turm kam - ihre Lungen schmerzten bereits, und es war immer noch weit bis zur Hütte -, sah sie trotzdem hin. Vater und Sohn hatten sich nicht bewegt. Sie standen auf einem hellen Fleck und hielten einander umarmt,
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