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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen
Autoren: Clive Barker
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Iad verriet.
    »Warum ich bleiben muß?«
    »Ja.«
    »Ganz einfach«, sagte sie. »Dies ist die letzte Prüfung. Alles für alle Menschen, erinnerst du dich?«
    »Verdammt dumm«, sagte er und trotzte ihrem Blick, als würde ihr Anblick ihm helfen, den Wahnsinn fernzuhalten.
    »Verdammt richtig«, sagte sie.
    »So vieles...«, sagte er.
    »Was?«
    »Habe ich dir nicht gesagt.«
    »Ebenso wie ich dir. Aber im Grunde war das auch nicht nö-
    tig.«
    »Du hattest recht.«
    »Nur eines. Eines hätte ich dir sagen sollen.«
    »Was?«
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    »Ich hätte sagen sollen...«, begann sie; dann grinste sie ein breites, beinahe ekstatisches Grinsen, das sie nicht vortäuschen mußte, weil es von einem zufriedenen Ort in ihr selbst kam.
    Und damit unterbrach sie ihren Satz, wie sie so viele Telefongespräche mit ihm unterbrochen hatte, drehte sich um und lief in die nächste Woge, die aus dem Schisma
    herausschwappte, wohin er ihr, wie sie genau wußte, nicht folgen konnte.
    Jemand kam in ihre Richtung; ein weiterer Schwimmer im Meer der Träume, der ans Ufer geworfen wurde.
    Tommy-Ray, der Todesjunge. Die Veränderungen, die mit Howie und Jo-Beth vonstatten gegangen waren, waren tiefgrei-fend, aber verglichen mit dem, was er durchgemacht hatte, waren sie barmherzig. Sein Haar war immer noch Malibugold, das Gesicht zeigte immer noch das Lächeln, das einst mit seinem Charme Palomo Grove in die Knie gezwungen hatte.
    Aber nicht nur seine Zähne glänzten an ihm. Die Essenz hatte sein Fleisch gebleicht, so daß es wie Knochen aussah. Brauen und Wangen waren aufgequollen, die Augen eingesunken. Er sah wie ein lebender Totenschädel aus. Er wischte sich mit dem Handrücken einen Speichelfaden vom Kinn und richtete den Blick an Tesla vorbei zu der Stelle, wo seine Schwester stand.
    »Jo-Beth...«, sagte er und schritt durch die Schwaden dunkler Luft. Tesla sah, wie Jo-Beth zu ihm blickte und sich dann einen Schritt von Howie entfernte, als wäre sie bereit, sich von ihm zu trennen. Sie hatte zwar dringende
    Angelegenheiten zu erledigen, mußte aber zusehen, wie Tommy-Ray seine Schwester für sich forderte. Die Liebe zwischen Howie und Jo-Beth hatte diese ganze Geschichte in Gang gebracht, zumindest aber ihre letzten Kapitel. War es möglich, daß die Essenz diese Liebe zunichte gemacht hatte?
    Einen Herzschlag später bekam sie die Antwort, als Jo-Beth noch einen Schritt von Howie wegging, bis sie auf Armeslänge 753
    auseinander waren und sie mit der rechten Hand immer noch seine linke hielt. Dann sah Tesla, vom Kitzel der Erkenntnis er-füllt, was Jo-Beth ihrem Bruder zeigte. Sie und Howie Katz hielten einander nicht nur an den Händen. Sie waren zusammengewachsen.
    Die Essenz hatte sie
    zusammengeschweißt und ihre ineinander verschlungenen Finger zu einem Knoten gemacht, der sie verband.
    Worte waren unnötig. Tommy-Ray stieß einen Aufschrei des Ekels aus und blieb unvermittelt stehen. Tesla konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Höchstwahrscheinlich hatte er keinen. Der Totenschädel konnte nur grinsen und Grimassen schneiden; Gegensätze kollidierten in einem Ausdruck. Aber sie sah Jo-Beths Miene auch durch den Dunst zwischen ihnen.
    Sie drückte ein klein wenig Mitleid aus. Aber nur ein klein wenig. Der Rest war Gleichgültigkeit.
    Tesla sah, wie Grillo Worte sprach, um die Liebenden zum Aufbruch zu bewegen. Sie gingen auf der Stelle, alle drei.
    Tommy-Ray traf keinerlei Anstalten, ihnen zu folgen.
    »Todesjunge?« sagte sie.
    Er drehte sich zu ihr um. Der Totenschädel war noch fähig zu weinen. Tränen rannen über die Krümmung seiner
    Augenhöhlen.
    »Wie weit sind sie hinter dir her?« fragte sie. »Die Iad?«
    »Iad?«
    »Die Riesen.«
    »Da sind keine Riesen. Nur Dunkelheit.«
    »Wie weit?«
    »Ganz nahe.«
    Als sie wieder zum Schisma sah, begriff sie, was er mit Dunkelheit meinte. Klumpen von Dunkelheit kamen durch das Loch; sie wurden von den Wellen herausgespült wie
    Teerklumpen, so groß wie Boote, die dann über der Wüste in die Luft stiegen. Sie besaßen eine Art Leben und trieben sich mit rhythmischen Bewegungen Dutzender von Gliedmaßen
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    vorwärts, die an ihren Flanken abstanden. Fasern der Materie, die ebenso dunkel waren wie ihre Körper, hingen wie
    Schlingen verwesender Eingeweide unter ihnen herab. Sie wußte, das waren nicht die Iad selbst; aber diese konnten nicht mehr weit entfernt sein.
    Sie wandte sich von dem Anblick ab und sah zu dem
    Stahlturm und der Plattform darauf. Die Bombe war die
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