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Jeden Tag ein Happy End

Jeden Tag ein Happy End

Titel: Jeden Tag ein Happy End
Autoren: Devan Sipher
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Beerdigung innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Eintritt des Todes vor. Seit ich das »Cornelia Street Café« verlassen und den Anruf meiner Großmutter bekommen hatte, war ich also mehr oder weniger ununterbrochen auf den Beinen gewesen.
    Der Tag zog sich ganz schön hin. Das ganze Jahr hatte sich hingezogen. Beziehungsweise die vergangenen vier, unendlich langen Monate.
    Und wahrscheinlich würden wir den fünften noch vollbekommen, ehe die Trauerrede zu Ende war. Der Rabbiner leierte immer noch seinen Text herunter. Mittlerweilehatte er ins Englische gewechselt, aber dadurch fiel es mir sogar noch schwerer, seinen Plattitüden über Sonnenuntergänge und brennende Kerzen zu folgen. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich nicht der Einzige war, der langsam schlappmachte. Meinem Vater fielen schon fast die Augen zu.
    »Saul!«, zischte meine Mutter.
    »Was?« Mein Vater erwachte mit einem Ruck und riss die Augen auf wie ein Busfahrer, der fast von der Straße abgekommen wäre.
    »Nimm die Schaufel.«
    »Nimm du doch die Schaufel«, gab er zurück. Manchmal benahm er sich wirklich wie ein Kleinkind.
    Meine Großmutter zuckte zusammen, sagte aber nichts.
    »Kann bitte einer von euch jetzt diese Schaufel nehmen?«, flehte ich.
    »Ist doch nicht mein Vater«, lautete die Antwort meines Vaters.
    »Meiner auch nicht«, kam es postwendend von meiner Mutter. Meine Großmutter zuckte erneut zusammen.
    »Wieso liegen dann fünf Pfund Räucherlachs bei uns im Kühlschrank?«
    Meine Mutter schnappte sich die Schaufel. Ich nehme mal an, sie wollte sie meinem Vater in die Hand drücken. Ich kann es jedoch nur vermuten, ich hoffe einfach, dass sie keine böse Absicht hatte, als sie das Ding in seine Richtung warf. Unglücklicherweise musste mein Vater genau in diesem Moment niesen. Er beugte sich vor, und sie erwischte ihn mit der Schaufel genau an der Stirn. Es blutete. Mein Vater fluchte vor Schreck. Der Rabbiner warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
    Laurel hatte recht. Ich hatte Angst davor, so zu werden wie meine Eltern. Es stimmte auch nicht, dass ich unbedingtheiraten wollte. Die Ehe machte mir wahnsinnige Angst. Wenn ich daran dachte, sah ich zwei Menschen vor mir, die sich ständig stritten und einander mit Gartenwerkzeugen angriffen. Verheiratet zu sein bedeutete, einander straffrei quälen zu dürfen.
    Ich nahm die Schaufel. »Dann mach ich das eben«, sagte ich.
    »Hat vielleicht jemand ein Pflaster?«, fragte mein Vater. Sofort hörte man die Reißverschlüsse mehrerer Handtaschen aufgehen, als könnte das Problem mit einem Pflaster gelöst werden.
    Wieso hatte niemand meine Eltern davon abgehalten, ein Paar zu werden? Irgendjemand hätte ihnen sagen müssen, dass es zwar die besten Voraussetzungen waren, wenn zwei Menschen dieselben Radiosender und Ginger Ale mochten. Aber eben nur, um tolle Bowlingkumpel zu werden. Es reichte jedoch nicht aus, um sein Leben miteinander zu verbringen. Sie hätten sich nie ineinander verlieben sollen. Die Tatsache, dass sie es getan hatten, war der Beweis dafür, dass die Liebe nicht nur hinfällt, wo sie eben hinfällt, sondern dass sie auch ziemlich grausam sein kann. Der Liebe konnte man nicht vertrauen. Kein Wunder, dass ich Angst vorm Heiraten hatte. Ich hatte von frühester Kindheit an die Prägung erhalten, eine völlig kranke Langzeitbeziehung anzustreben, in der einer den anderen unglücklich machte. Ich fühlte mich wie jemand, der die Veranlagung zu einer schlimmen Krankheit in sich trägt, die er vielleicht auch seinen Kindern vererben würde.
    Ich stürzte mich auf den Haufen ausgehobener Erde und schüttete eine Schaufel voll in das offene Grab. Die Erde plumpste ungerührt auf das Holz und rutschte über den Sarg. Es führte mir unangenehm deutlich vor Augen, was ich hier eigentlich gerade tat.
    Ich begrub einen Mann in der Erde, übergab ihn in die Verantwortung der Wirbellosen. Polonius hatte sich geirrt: Wir waren alle gleichzeitig Borger und Verleiher. Ich übergab Bernie der letzten Abrechnung. Oder versteckte ich ihn davor? Man begräbt, was man vergessen will, und ich wollte unbedingt seinen Anblick in diesem Sarg vergessen. Ich stellte mir vor, wie er jetzt da drin lag. Schlimmer noch, ich stellte mir vor, wie ich selbst dort lag. Eine Leiche in einer Kiste in einem Loch. Ganz allein. Mir wurde das alles zu viel. Die Hitze und der Dreck. Die Schaufel und das Blut. Laurel und Melinda. Ich brach schluchzend zusammen.
    Meine Großmutter beugte sich vor
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