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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition)
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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verbissenen, angespannten Stille, jeder im Team war entschlossen, unseren knappen Vorsprung zu verteidigen. Nur ein guter Tag, sagte ich mir immer wieder, das ist alles, was ich brauche.
    Aber ich brauchte ihn schnell – genau genommen über Nacht. Vor uns lag nur noch eine Bergetappe, von Bagnères-de-Bigorre hinauf nach Luz Ardiden. Wenn ich die Tour gewinnen wollte, dann musste ich es hier tun.
    Angst nagte an mir: Was, wenn ich verlor? Nach all dem, was ich bei dieser Tour durchgemacht hatte? Wenn die Hoffnungen und Erwartungen eines ganzen Teams auf einem ruhen, drückt die Verantwortung schwer. Und ich schleppte noch andere Dinge mit mir herum. Mitten in den Pyrenäen, kurz vor der Etappe nach Luz Ardiden, erhielt ich eine Nachricht von Kik. Sie hatte geträumt, dass ich einen Berg hinauffuhr. Aber an meinem Fahrrad war ein Anhänger, und in dem Anhänger saßen Leute – Krebsüberlebende, Sponsoren, Fans –, und ich versuchte, sie alle den Berg hinaufzuziehen. In ihrem Traum, schrieb sie, koppelte ich den Anhänger ab und fuhr einfach davon. »Wirf allen Ballast ab, der dich noch behindert«, drängte sie.
    Kik hatte Recht. Ich versuchte, dieses Ding mitzuziehen, und schleppte zu viel Gewicht mit. Ihre Nachricht hatte für mich große Bedeutung, und ich speicherte sie ab.
    Am Abend vor Luz Ardiden besuchte Bill Stapleton mich und sagte etwas, was mir noch mehr Mut machte. Wir sprachen darüber, wie knapp das Rennen war und welcher Druck auf mir lastete. Bill sah mich bloß an und sagte vollkommen ruhig: »Hey, Mann, du bist derjenige, der die Acht spielt.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. »Die Acht?«, fragte ich. »Mach reinen Tisch«, sagte er. »Stoß die schwarze Kugel in die Ecktasche. Du hältst das Queue in der Hand, mach es einfach.«
    In dieser Nacht schlief ich fest und tief, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich gut, besser als jemals seit Beginn der Tour. Ich ging auf einen Kaffee hinunter zum Teambus. »Ich glaube, ich bin wieder da«, sagte ich zu Johan.
    Während ich meinen Kaffee trank, dachte ich an Luz Ardiden. Ullrich und der Bianchi-Sportdirektor Rudy Pevenage erzählten allen, die es hören wollten, dass er sich an diesem Tag das Gelbe Trikot holen würde. Sie würden, sagten sie, heute dafür sorgen, dass ich die Tour verlor.
    Ich saß immer noch brütend vor meinem Kaffee, als Geert Duffy, einer unserer Teammanager, herüberkam und mir eine Geschichte erzählte. Im Jahr zuvor hatte Pevenage ihn um ein Gelbes Trikot als Souvenir gebeten. Duffy hatte versprochen, ihm eins zu besorgen, es dann aber vergessen. Nun, mit Ullrich nur noch 15 Sekunden hinter mir, hatte Pevenage Duffy abgepasst.
    »Hey, Duffy! Dieses Souvenir-Trikot, vergiss es«, hatte er gesagt. »Wir holen uns jetzt nämlich unser eigenes.«
    Wortlos hatte ich Duffy zugehört. Als er fertig war, stellte ich meine Tasse ab.
    »Die Tour ist gelaufen«, sagte ich und ging aus dem Bus.
    Es ist immer hilfreich, die Pläne des Gegners zu kennen, zumal wenn man, wie ich, seine eigenen hatte. An der Startlinie sah ich Tyler Hamilton. »Bis du bereit?«, sagte ich zu ihm. »Heute zeig ich’s allen.«
    Der heutige Tag war meine letzte Chance. Auf Luz Ardiden folgte nur noch eine entscheidende Etappe, ein Einzelzeitfahren nach Nantes. Da Ullrich mich schon einmal bei einem Zeitfahren besiegt hatte und ich an diesem Tag auf keinen Fall mit nur 15 Sekunden Vorsprung an den Start gehen wollte, musste ich bei dieser letzten Etappe mit einer Bergankunft unbedingt Zeit gutmachen.
    Was vor uns lag, war der vielleicht längste und härteste Anstieg der Tour. Auf dem Weg hinauf zum Tourmalet konnte sich Ullrich nach einem Überraschungsangriff kurz absetzen. Ich beschloss, keine Energie auf eine Verfolgungsjagd zu verschwenden und ihn vorne die Arbeit machen zu lassen. Mit der Zeit ließ sein Tempo nach, und ich konnte wieder zu ihm aufschließen. Kurz vor dem Gipfel holte uns dann eine Verfolgergruppe mit Mayo und Winokurow ein.
    Nach einer weiteren rasanten Abfahrt und insgesamt fünf Stunden im Sattel erreichten wir den Anstieg hinauf nach Luz Ardiden – und sofort zog das Tempo an, und es entspann sich eine Art Sparringskampf auf Rädern.
    Iban Mayo attackierte. Ich stellte mich in die Pedale, erwiderte die Attacke und zog an ihm vorbei.
    Ich lag an der Spitze und jagte den Berg hinauf. Wo war Ullrich?, fragte ich mich und hoffte, dass er nun für den Tourmalet büßen musste.
    »Ullrich ist abgefallen«,
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