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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Autoren: Beate Dölling
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sie kriegen kann. Ist ja lieb, aber besser wäre, sie würden sie in Ruhe lassen. In Ruhe gehen lassen, zu Jonas. Sie ist müde, so müde, dass sie es kaum in ihr Zimmer schafft und auf ihr Bett.
    Kurze, schnelle Schritte, den Kopf zu Boden geneigt, den Oberkörper kerzengerade und die Hände auf dem Rücken verschränkt. Geballte Fäuste. Nicht mehr bereit, das Spielchen »Welche Hand?« zu spielen, denn der Wille fehlt, die Lust zum Spiel, auch der Gegenstand, den man erraten möchte. Stattdessen kurze, schnelle Schritte, und in den kalten Fäusten Schweiß.
    Immer von einer Wand zur anderen. Klack-Klack-Klack – und umdrehen. Klack-Klack-Klack – und zurück.
    Wunde Lippen, zerzauste Haare und in der Blumenvase kein Mohn.
    Das Telefon schrillt. Der Kopf fährt hoch. Die Beine lassen die Schritte sein. Still, starr, stumm, ein erfrorener Moment am Nachmittag. Nur das Telefon schreit, kreischt und schimpft.
    Dann ist es still.
    So still war es noch nie. So still darf es auch nicht sein, und schon zuckt es wieder in den Waden, setzt der linke Fuß zum Schritt an, zieht der rechte hinterher, bis der Rhythmus übernimmt:
    Klack-Klack-Klack – und der Kopf fällt auf die Brust und die Hände wollen nicht mehr auf den Rücken und der Rücken will nicht mehr gerade sein.
    Finger im Mund. Am Daumen lutschen. Alle Finger schmecken. Kalte Finger. Das Herz im Hals wie ein Stück zähes Fleisch.
    Der Gang zum Fenster. Es öffnet seinen Schlund. Und schon sind die Füße auf der Fensterbank und die Augen blicken hinab auf die nassgrauen Pflastersteine.
    Aus der Ferne Sirenengeheul.
    Der Körper fliegt; es rauscht in den Ohren.
    Eine Möwe schwirrt vorbei.
    »Was machst du denn da?«, fragt der Vogel.
    »Ich fliege«, antwortet der Mensch.
    »Aber Menschen können doch nicht fliegen.«
    »Das siehst du ja.«
    »Wohin fliegst du?«, fragt der Vogel.
    »In den Tod«, sagt der Mensch.
    »Man kann nicht in den Tod fliegen.«
    »Das wirst du ja sehen.«
    Und die Stockwerke sausen vorbei. Die Arme sind ausgebreitet wie Flügel. Das Telefon schrillt den Fliegenden hinterher.
    »Nimmst du nicht ab?«, fragt der Vogel.
    »Nein«, sagt der Mensch.
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nicht will.«
    »Was willst du nicht?«
    »Reden.«
    »Aber du redest doch auch mit mir«, sagt der Vogel.
    »Das ist was anderes«, sagt der Mensch und prallt auf; mit dem Kopf zuerst, und der zerplatzt wie eine reife Wassermelone. Das Blut spritzt hoch, auf die weißen Federn der Möwe. Sie schüttelt sich und fliegt davon.
    Julia wacht auf, schweißgebadet. Die Bluse klebt an ihr, wie blutdurchtränkt.

KAPITEL 5
    Es war einmal
    Sie hatte Jonas im Schwimmbad kennengelernt. Strahlend blauer Himmel, vierunddreißig Grad, Anfang Mai, die erste Hitzewelle in diesem Jahr, der erste Tag, an dem die Schwimmbäder öffneten, und sie war von ihrem ersten Sprechtraining wiedergekommen. Sie konnte gar nicht abwarten, endlich vom Beckenrand zu springen.
    Das Prinzenbad war rappelvoll, Kinder kreischten, schubsten sich gegenseitig ins Wasser, Jungs, denen das Bauchfett über die Shorts schwabbelte, machten Arschbomben. Ein Gewimmel von allen Seiten. Nur im kalten Sportbecken ging es noch einigermaßen, dort würde sie gleich abtauchen. An diesem Tag hatte sie sich entschieden, alles zu tun, um an der Filmschauspielschule aufgenommen zu werden. Ttttt – ddddd – ttttt – ddddd  – tippte sie immer noch mit der Zungenspitze gegen ihren Gaumen, zur Zungenlockerung, und ppppp – bbbbb – ppppp , um die Lippen locker zu halten.
    Sie legte ihre Sachen in die Ruhezone, oben links, auf der Tribüne. Von Ruhe konnte jedoch keine Rede sein. Kleine Jungs rannten hintereinander her und schlugen sich mit nassen Handtüchern. Julia musste ausweichen. Warum fand sie Charlotte nicht? Charly hatte ihr doch hoch und heilig versprochen, ab 16 Uhr im Prinzenbad zu sein. Julia musste dringend ins Wasser!
    Als sie wiederkam, tropfend, frisch – sogar leicht und angenehm fröstelnd –, saß Charlotte auf ihrem Handtuch und aß ein Eis.
    »Damit hättest du ja auf mich warten können«, sagte Julia und deutete auf das Eis.
    »Nein, sorry, konnte ich echt nicht.« Charlotte grinste. Ihre braunen langen Haare waren mit einem Bleistift hochgesteckt.
    »Gut. Dann musst du gleich noch mal mit mir mitkommen und ein Eis essen.«
    »Es gibt Schlimmeres.« Charly hielt ihr das Mango-Zitronen-Eis hin; Julia biss ein Stückchen ab, ließ es auf der Zunge anschmelzen und die Kehle
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