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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Autoren: Beate Dölling
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den Helm abnimmt, Papa die Hand gibt. Sie rennt durchs Treppenhaus, auf den Bürgersteig. »Das ist Jonas. – Das ist mein Vater.« Sie lachen. Papa im grauen Anzug vor silbergrauem Toyota . Jonas in abgetretener Jeans und Lederjacke. Helm in der Hand, von einer Hand in die andere Hand. Hinter ihm, auf dem Gehsteig geparkt, die 750er Yamaha .
    »Möchten Sie mit reinkommen?«, fragte Papa.
    »Du kannst Jonas ruhig duzen.«
    »Gut, dann kommt doch noch mit rein.«
    Am Küchentisch hatte Papa seine Krawatte gelockert und drei Flaschen Bionade aus dem Kühlschrank geholt.
    »Ich heiße Klaus«, hatte er gesagt und Jonas die Hand hingehalten. Jonas hat die Hand genommen und seine Bionade dabei umgeworfen. Schäumend ist die rote Limonade über den Tisch geperlt und auf den Boden getropft. Keiner wusste so schnell, wo ein Lappen war.
    Jetzt tropft es ihr eiskalt in den Kragen, läuft ihr über den Rücken, bis zum Steißbein. Papa ist da, Mama, diese Susanne-Frau. Sie redet mit Mama immer noch über JULIA, JULIA müsse lernen, das Unbegreifliche, SEINEN plötzlichen TOD zu AKZEPTIEREN. Das sei jedoch äußerst schwierig, denn sie sei ja bei dem Unfall nicht dabei gewesen, habe also das Geschehen nicht selbst WAHRGENOMMEN und deshalb sei es für sie auch nicht greifbar. Also unbegreiflich.
    Unbegreiflich – ins Leere fassen. Egal, wohin sie greift. Nichts da zum Festhalten.
    Warum hat sie ihn nur gehen lassen? Wenn sie mitgekommen wäre, den Film zu holen, wäre es nicht passiert. Jedenfalls nicht so. Oder überhaupt nicht. Oder sie wären jetzt beide tot.
    Das wäre besser, wenn sie jetzt auch tot wäre. Wenigstens das.
    Aber Jonas ist gar nicht tot! Er wurde nur von einem Fisch verschluckt.
    Keine Sorge, sie holt ihn da schon wieder raus.

KAPITEL 4
    Die Möwe
    Am Nachmittag des 30. Mai erlitt ein 18-jähriger Motorradfahrer nach einer Kollision mit einem Lieferwagen auf dem Kottbusser Damm, Ecke Urbanstraße, einen Schädelbasisbruch. Der Fahrer des Lieferwagens hatte die Vorfahrt nicht beachtet. Der Motorradfahrer verstarb noch auf der Notfallstation des Urban-Krankenhauses.
    Sie hat den Artikel ausgeschnitten. Auch die Todesanzeige, die Jonas’ Eltern in den Tagesspiegel gesetzt haben, ein Zitat von Rainer Maria Rilke:
    Der Tod ist groß.
    Wir sind die Seinen
    lachenden Munds.
    Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
    wagt er zu weinen
    mitten in uns.
    Jonas’ Eltern haben sich bei Julia gemeldet. Sie wollen sich mit Julia treffen. Dann stehen sie da. Seine Mutter nimmt Julia in die Arme. Den Vater sieht sie das erste Mal. Von ihm hat Jonas die blonden Haare – und die schöne Nase. Die Eltern kommen gerade aus der WG und haben mit Snickers und Rudi gesprochen, haben Jonas’ Zimmer gekündigt, Sachen mitgenommen. Bei den Eltern war Julia nur einmal gewesen. Sie wohnen in einer Erdgeschosswohnung in Lichterfelde West, mit Garten, aber meistens sind sie in Köln, weil dort die Firma ist, für die beide arbeiten. Die Mutter ist Managerin und der Vater Computerspezialist.
    Es gab Ingwer-Zitronen-Tee, mit Eis und Nusskuchen. Die Mutter trug ein blaues Trägerkleid. Sie fragte Julia, auf welche Schule sie gehe und was ihre Eltern beruflich machten und was Julia einmal werden möchte.
    »Schauspielerin«, hatte Julia gesagt und Jonas hatte sie daraufhin voll auf den Mund geküsst. Julia war das ein bisschen peinlich gewesen – vor der Mutter, die genau hingeschaut hatte, wie ihr Sohn küsste. Es war ein kurzer Kuss, aber so einer, der alles verriet.
    »Julia, ist da irgendwas, was du gern von Jonas haben möchtest?« Seine Mutter ist blass, dünn. Ihr Haar hängt am Kopf wie Lametta, aber es glänzt nicht mehr. Sie kann über alles reden, auch wenn ihre Stimme brüchig klingt, zusammengeklebt, mit Spucke – sie holt irgendwo noch Wörter her, sagt, dass die Beerdigung am Freitag sei und Jonas erdbestattet werde, also in einen Sarg kommt.
    »Nussholz«, sagt der Vater.
    Nussholz – wie nüchtern er das sagt. Sie haben bestimmt auch eine Psychologin, die bei ihnen einen normalen Trauerprozess einleitet.
    Julia sieht Jonas in einer Walnusshälfte über das Meer schaukeln. Dann kommt ein Walfisch und frisst ihn auf.
    Bleib ganz ruhig, mein Süßer, es ist nur ein Märchen. Vielleicht triffst du Sindbad. Ich hol dich da raus!
    Julia schlingt die Arme um sich. Es ist so kalt. Auch sie kann über alles reden. Es ist, als stünde ein Lautsprecher neben ihr: »Ich möchte ein paar Kleidungsstücke behalten. Und die DVD,
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