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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland
Autoren: Jan Weiler
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schla-fen.»
    Der Purser bittet noch einmal mit Nachdruck um Bennos Kooperation, doch der stellt sich taub und hält die Augen geschlossen.
    «Bitte, mein Herr! Ich muss darauf bestehen!» Er greift über Antonio hinweg Benno an die Schulter, doch der versetzt ihm einen Hieb auf die Hand. Das kann böse ausgehen. Ich habe keine Lust auf die Konsequenzen von Bennos Ungehorsam.
    Auch deutsche Fluglinien verhalten sich nach amerikanischen Maßstäben: Wer nicht spurt, fliegt raus, das gilt auch in der Business Class. Soviel ist mal klar. Aber mit Benno Tiggelkamp kann man sich nicht alles erlauben. Der Mann kommt vom Niederrhein, wo die Stirnplatten der Menschen doppelt so dick sind wie die Gehwegplatten.
    «Bringen Sie Ihren Sitz in eine aufrechte Position», ruft der Purser nun, und seine Stimme überschlägt sich.
    «Näää. Gute Nacht.»
    Ich fürchte, dass das Flugzeug gleich umkehren wird und wir aussteigen dürfen. Der Pilot gibt ordentlich Gas, der Purser verzieht sich auf einmal hastig auf seinen Platz, und das Flugzeug: hebt ab. Geschafft! Jetzt ist es definitiv zu spät, uns hier rauszuschmeißen. Ich strecke die Arme nach oben und rufe: «Yiiieehaaa.» Dann schlafe ich vor Erschöpfung ein. Als ich aufwache, gibt es Essen. Drei Gänge, dann noch Käse von einem Wagen. Einen Cognac. Ich finde, das habe ich mir verdient.
    Die letzten Tage waren die aufregendsten in meinem Leben. Aufregung ist bei mir eher negativ besetzt. Normaler-243
    weise bemühe ich mich, sie zu vermeiden. Aufregend heißt für mich unvorhergesehen, gefährlich, riskant. Aber war es das wirklich? Ich habe schon am Flughafen deutsche Bundes-grenzschutz- und amerikanische Zollbeamte und ihre Büros kennen gelernt. Ich bin von einem original New Yorker Cop auf den Boden geworfen und fixiert worden. Ich habe in einem winzigen Gärtlein in Queens Würstchen gegrillt, und ich weiß, wie der Zahn eines Stegosaurus aussieht. Ich habe mit Robert De Niro gegessen und in einer sagenhaften Suite gewohnt. Ich habe also Dinge gesehen, die kein Tourist sonst jemals zu Gesicht bekommt. Was ist daran negativ? Ich drehe mich zu Antonio um, der gerade den Pralinenteller abräumt, der ihm vor die Nase gehalten wird, und schaue in sein zufriedenes Gesicht. Es macht mich richtig glücklich.
    Vor der Landung zieht Antonio sich wieder um, die Strümp-fe lässt er im Flugzeug. Braucht er jetzt nicht mehr. Beim Aussteigen merke ich gleich, dass wir nicht mehr in Amerika sind: Die Luft ist ganz anders, der Geruch ganz neutral, der graue Film ist weg. Auch scheint es im Düsseldorfer Flughafen viel heller zu sein.
    Es ist ein früher Novemberabend. Die Passkontrolle überwinden wir ohne Probleme, der Beamte schaut uns nicht einmal richtig an. Ich sammle unser Gepäck vom Band und staple die Koffer auf zwei Wagen. Benno besteht darauf, seinen und Antonios Koffer zu schieben, und die beiden rollen vor mir durch die Zollkontrolle. Eine Tür öffnet sich lautlos, und weg sind sie. Ich will ihnen folgen, aber ein Herr mit schlechter Laune und autoritärem Gehabe stellt sich mir in den Weg.
    «Woher kommen Sie?», fragt er.
    «New York», sage ich müde. «Ich habe nichts zu verzol-len.»
    «Kommen Sie bitte mal mit.»
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    «Gerne», lüge ich und folge ihm in einen Raum, an dessen Wand ein langer Tisch steht.
    «Würden Sie bitte Ihren Koffer öffnen?», sagt der Mann. Ich öffne den Koffer und mache dann eine Geste, als habe ich ein Kaninchen aus einem Hut gezaubert.
    «Bitte, bedienen Sie sich», sage ich und trete zurück. Der Typ nimmt meine schmutzigen Klamotten aus dem Koffer und stochert mit seinem Kugelschreiber in meinen Sachen herum, als müsse man sich vor ihnen ekeln.
    «Warum haben Sie zwei Kulturbeutel in Ihrem Koffer?»
    Ach ja, der eine wird von Benno sein.
    «Den da habe ich für jemand anders mitgenommen.»
    «Für jemand anders. Dann wollen wir mal sehen.»
    Er öffnet Bennos speckigen braunen Kulturbeutel und holt seine zerrupfte Zahnbürste heraus. Eine Flasche Old Spice.
    Eine Tube Brisk. Hühneraugenpflaster. Odol-Spray. Peninsula-Badezusatz. Einen Saurierzahn.
    Einen Saurierzahn! Scheiße!
    «Was ist das?», will der Typ wissen. Jetzt hilft nur noch eins: Stell dich doof.
    «Was denn?»
    «Das hier.»
    «Keine Ahnung, darf ich mal sehen?» Er hält mir den Zahn entgegen. «Gehört mir nicht.»
    «Ich habe es aber in Ihrem Koffer gefunden. Was ist das?»
    «Wie gesagt, ich weiß es nicht.»
    «Für mich sieht das nach einem Zahn aus. Sie dürfen
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