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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland
Autoren: Jan Weiler
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Phase beginnt um 1:38 Uhr und dauert bis 2:11
    Uhr. Mein Dokumentarfilm wird später sehr gelobt, obwohl das Bild immer wackelt, wenn Lorella bei einer Wehe alles gibt und schreit, dass die Nachbarn denken, sie würde exor-ziert. Jürgen hockt vor ihr an die Badewanne gelehnt und atmet laut, was mir zunehmend auf die Erbse geht. Sara fächelt Luft, Frau Fobbe-Haller fummelt mit ihrem Stethoskop an Lorella herum, ich stehe in der Badewanne und filme, Ursula sitzt im Wohnzimmer, und Antonio steckt seinen Kopf zur Tür rein.
    «Alle klar? Wollte nur mal nakesehene, ob alle okay iste.»
    «Raus», rufen alle außer Jürgen. Er ist außer Puste. Dann kommen kurz nacheinander eine ganz fürchterliche Wehe, ein noch fürchterlicherer Schrei und ein kleines Stückchen Kopf.
    Lorella hört jetzt nicht mehr auf zu brüllen. Sie schüttelt den Kopf, schwitzt, ächzt, während ihr Gatte auf sie einschwafelt:
    «Gleich kommt es, ist gleich so weit, nur noch ganz kurz. Und 254
    atmen, atmen, ja, schön gleichmäßig, und die Wehe kommt und die Wehe geht und die Wehe kommt und schön atmen und schieben, atmen und schieben ...»
    «Jetzt halt endlich mal dein Maul, verdammt!», brüllt Lorella, und ich finde, da hat sie völlig Recht. Während ich noch überlege, ob ich sein Gesicht filmen soll, gibt es plötzlich ein ganz unnachahmliches Geräusch, und das Baby rutscht mitsamt seinem Verpackungsmaterial auf eines der vielen Handtücher, die auf dem Boden liegen. Man kann es kaum erkennen vor lauter Glibber und Nabelschnur. Es ist – soweit ich das beurteilen kann – ein sehr hübsches, bläulich rotes Mädchen mit einem eingedrückten Kopf und knapp einem Pfund Plazenta.
    Diese wird von Jürgen in eine Plastiktüte gefüllt. Er will sie bei sich im Garten in ein bereits ausgehobenes Loch schütten und darauf einen Apfelbaum pflanzen. Ich werde garantiert niemals bei meiner Schwägerin einen Apfelkuchen essen. So viel steht mal fest.
    Frau Fobbe-Haller wäscht Lorella und das Baby. Meine Sara sieht glücklich aus, sie ist so warm von innen, und ihre Augen leuchten ganz klar, als sie mit mir die Treppe hinuntergeht zu Ursula und Antonio. Der sitzt im Schlafanzug auf seiner Couch und weint. Ich nehme ihn in den Arm und beglück-wünsche ihn zu seiner Enkelin. Als er sich wieder gesammelt hat, sagt er: «Wunderbare Enkelkinde. Und muss nickte mit dieser bekloppter Name rumrenne.» Das ist wahr, aber ich fürchte, Lorella und Jürgen haben sicher auch ein paar Mäd-chennamen auf Lager. Ich umarme auch Ursula, die sich innerhalb von wenigen Minuten in Oma Ursula verwandelt hat. Als solche beginnt sie unverzüglich mit der Produktion von Strickwaren. Es ist ja bald Winter.
    Jürgen öffnet die letzte Flasche seiner Sammlung, den Petrus. Er schenkt ein, und ich stoße mit ihm an. Womöglich 255
    wäre so eine Geburt auch etwas für mich, es fühlt sich auch für einen Onkel nicht schlecht an. Wie muss es dann erst für einen Vater sein?
    Am nächsten Morgen erwache ich zum ersten Mal in meinem Leben mit dem Geschrei eines Neugeborenen. Es klingt schön.
    So neu, so unerhört klein klingt das. Sara ist schon auf den Beinen. Ich ziehe mich an und beginne unsere Sachen zu packen. Wir werden heute nach Hause fahren.
    Plötzlich Unruhe im Haus. Es kommt aber nicht vom Baby.
    Es klingt eher wie ein italienischer Großvater in höchster Erregung. Antonio schreit: «Kommte mal her hier, alle mit-ananda!»
    Ich stolpere die Treppe hinunter, wo die anderen schon versammelt sind, alle außer Lorella, die im Bett geblieben ist.
    Antonio hält einen Brief in die Luft.
    «Was ist das für ein Brief, Toni?», frage ich.
    Er lässt sich Zeit, senkt langsam den Arm und sagt dann:
    «Aus Amerika. Von Roberto.»
    «Von Robert?», rufe ich.
    «Von Robert De Niro?», ruft Ursula.
    «Von wegen», ruft Sara.
    Antonio überreicht mir den Brief, damit ich ihn öffne und übersetze. Es ist das Logo eines Hotels in Chicago darauf ge-druckt. Auf der Rückseite steht handschriftlich als Absender:
    «RDN»
    Ich reiße den Brief auf und entnehme das Papier. Darauf steht:
    «Lieber Antonio, ich wollte nur schnell mitteilen, dass ich mit Mauro telefoniert habe. Er kann sich noch sehr gut an dich erinnern. Ich habe ihm deine Adresse gegeben (ich selbst be-256
    kam sie vom Hotel), und er wird sich bald bei dir melden. Ich habe dich übrigens im Fernsehen gesehen, wo hattest du nur diese Fahne her?
    Wir sehen uns, dein ergebener Robert De Niro P. S.: Bei eurer kleinen
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