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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry
Autoren: Benvolio
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Empfindungen zu verdanken, die es an Gleichmut fehlen lassen,« nun», sagte er in sachlich-strengem Ton,«sie ist
dazu geboren, ihre Pflicht zu tun. Wir alle sind dazu geboren, unsere Pflicht zu tun.»
    « Bisweilen ist unsere Pflicht recht eintönig», sagte ich.
    « Das mag durchaus sein, aber was soll man machen? Ich möchte nicht sterben, ohne meine Tochter versorgt zu wissen. Was sie mit ihren Unterrichtsstunden verdient, ist ein recht karges Einkommen. Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, sie wäre für ihr Lebtag in festen Händen, aber das hat sich alles zerschlagen. Es gab hier einen jungen Burschen aus der Bostoner Gegend unten, der war einer Verbindung mit ihr so nahe, wie es überhaupt geht, wenn dann doch nichts daraus wird. Er und Esther verstanden sich blendend. Eines Tages kam Esther zu mir, sah mir in die Augen und sagte, sie sei verlobt.
    ‹Mit wem?›, frage ich, obwohl ich es natürlich schon wusste, und Esther sagte es mir. ‹Wann habt ihr vor zu heiraten?›, fragte ich weiter.
    ‹Wenn John reich genug ist›, sagte sie.
    ‹Wann wird das sein?›
    ‹Es wird vielleicht Jahre dauern›, sagte die arme Esther.
    Ein ganzes Jahr verging, und der junge Mann kam, soweit ich es beurteilen konnte, seinem Vermögen keinen Schritt näher. Er reiste ständig
zwischen hier und Boston hin und her. Ich stellte keine Fragen, weil ich wusste, mein armes Mädchen will es so. Aber eines Tages hielt ich die Zeit dann doch für gekommen, unseren Standort zu peilen und zu sehen, auf welchem Kurs wir uns befanden.
    ‹Hat John es inzwischen zu seinem Vermögen gebracht?›, fragte ich.
    ‹Ich weiß es nicht, Vater›, sagte Esther.
    ‹Wann werdet ihr heiraten?›
    ‹Nie!›, sagte mein armes kleines Mädchen und brach in Tränen aus. ‹Stell mir bitte keine Fragen›, sagte sie. ‹Unsere Verlobung ist gelöst. Stell mir keine Fragen.›
    ‹Sag mir nur noch eines: Wo ist dieser verd… Schurke, der meiner Tochter das Herz gebrochen hat?›
    Sie hätten den Blick sehen sollen, den sie mir zuwarf.
    ‹Mein Herz gebrochen? Du irrst dich, Vater. Ich weiß nicht, wen du meinst.›
    ‹Ich meine John Banister›, sagte ich. Das war sein Name.
    ‹Ich glaube, Mr Banister ist in China›, sagte Esther so würdevoll wie die Königin von Saba. Und das war das Ende vom Lied. Die Einzelheiten habe ich nie erfahren. Inzwischen habe ich
gehört, Banister gelange im Chinahandel rasch zu Reichtum.»

    7. August. – Seit über vierzehn Tagen habe ich keinen Eintrag mehr gemacht. Man sagt mir, ich sei sehr krank gewesen, und es fällt mir nicht schwer, das zu glauben. Vermutlich habe ich mich erkältet, als ich so spät abends noch draußen saß, um Skizzen anzufertigen. Jedenfalls hatte ich ein leichtes Wechselfieber. Ich habe aber so viel geschlafen, dass mir die Zeit recht kurz vorkam. Ich wurde von diesem freundlichen alten Herrn, seiner Tochter und seiner Dienstmagd liebevoll gepflegt. Gott schütze sie alle! Ich sage«seiner Tochter», denn von der alten Dorothy habe ich erfahren, dass Miss Blunt nach einer Nacht, in der ich sehr schwach gewesen war, eines Morgens bei Tagesanbruch für eine halbe Stunde die Wache an meinem Bett übernommen hatte, während ich in empfindungslosem Schlummer lag. Es ist sehr schön, den Himmel und das Meer wieder zu sehen. Ich habe mich in meinem Lehnstuhl ans offene Fenster gesetzt, die Läden geschlossen, die Lamellen geöffnet. Und hier sitze ich mit meinem Tagebuch auf den Knien und kritzle noch recht geschwächt vor mich hin. Dann und wann blicke ich aus meinem kühlen,
dunklen Krankenzimmer hinaus in die Welt des Lichts. Mittagszeit im Hochsommer! Welch ein Schauspiel! Am Himmel sind keine Wolken zu sehen, auf dem Meer keine Wellen. Die Sonne allein herrscht über allem. Lange auf den Garten hinauszuschauen lässt die Augen tränen. Und wir –«Hobbs, Nobbs, Stokes und Nokes» 18 – schlagen vor, dieses Reich des Lichts zu malen. Allons, donc! 19
    Die lieblichste aller Frauen hat gerade an die Tür geklopft und ist mit einem Teller voller früher Pfirsiche hereingekommen. Die Pfirsiche sind von einer wunderbaren Farbe und Prallheit, Miss Blunt dagegen sieht blass und dünn aus. Das heiße Wetter bekommt ihr nicht. Sie ist überarbeitet. Zum Teufel! Natürlich habe ich ihr für ihre Fürsorglichkeit während meiner Krankheit herzlich gedankt. Sie behauptet, ihr gebühre kein Dank, und verweist auf ihren Vater und Mrs Dorothy.
    « Ich beziehe mich vor allem auf jenes knappe
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