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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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empfing die bejahrte, aber sehr temperamentvolle Erbin der Bascombe-Bergwerks- und -Eisenbahnunternehmungen die Presse und schimpfte auf das räuberische Steuersystem und die sozialistische Politik der Regierung. Miß Bascombe schnaubte Mord und Brand gegen das Finanzamt und sämtliche fiskalischen Abteilungen des Staates, mit denen sie seit zwanzig Jahren eine erbitterte Fehde führte, und sagte: »
    «Das ist ‘n Witz, was?» sagte der Barmann.
    Bei der Geschichte klingelte eine Glocke in Sears’ Gedächtnis. Jedes Jahr gab sie ein ähnliches Interview und fauchte: «Na, ich bin immer noch da.» Das war wirklich eine Art bitterer Witz, der sich ständig wiederholte.
    «Ja», erwiderte Sears schließlich, «das ist ein Witz. Es ist das einzige, um das man nicht drum rumkommt, und wenn sie glaubt, es würde ihr gelingen, ist sie verrückt.»
    Dennoch schwindelte es ihn bei dem Gedanken an den sagenhaften, unbegrenzten Reichtum dieser Frau und daran, was es für ein Leben sein müsse, wenn man sich an einen so reichen Menschen hängen könnte. Wenn einem das gelänge, hätte man ausgesorgt.
    Er blickte noch einmal in die Zeitung und prägte sich den Namen ein: «Gefährtin und Sekretärin Clary Adams.» Die hatte sich gewiß gut eingenistet. Es war bestimmt eine versteinerte, abstoßende alte Jungfer mit verkniffenen Lippen, vielleicht eine entfernte Verwandte. Wenn die Zeit für Hannah Bascombe schließlich kam, würde Miß Adams ein hübsches kleines Vermögen erben und war für ihr Leben versorgt; und dann würde sie ihrerseits am Gelde hängen wie der bleiche Tod. Wie sie sich alle ans Geld klammerten! Und doch, viele von diesen Finanzgenies sollten wie die Kinder sein, wenn es um praktische Dinge ging und wo es sich nicht darum handelte, aus Geld Geld zu machen. Ein Mann von Verstand müßte doch...
    Mit einem Achselzucken stellte Sears den Wunschtraum ab. Wahrscheinlich hatten vor ihm schon viele Leute den gleichen Gedanken gehabt. Er sollte sich wahrhaftig etwas Besseres einfallen lassen.
    Er nickte dem Barmann zu. «Ja, Bruder, da haben Sie bestimmt recht. Verrückt wie ein Wasserhuhn muß die sein.»
    Die beiden Schuß Whisky hatten gewirkt, und das Gespräch hatte seine Niedergeschlagenheit ein wenig gelindert, so daß er sich jetzt fast fröhlich fühlte. Er schnippte einen Dollar über die Theke, sagte «So long!» und ging hinaus.
    Doch sein Schatten hatte die Tür noch nicht verlassen, als er noch einmal zurückkam. Er zeigte auf die Zeitung auf der Theke. «Was dagegen, wenn ich die mitnehme?»
    Der Barmann erwiderte: «Ganz und gar nicht. Bedienen Sie sich...»
    Sears faltete die Zeitung zusammen und stopfte sie in die Jacke. Die Frau mußte mit all ihren Unternehmungen und Beteiligungen eine Milliarde wert sein, wenn nicht gar mehr. Die Zeitung schien ihn diesem Reichtum geradezu ein wenig näher zu bringen. Es war fast, als ob man selber Geld in der Tasche hätte.

2

    Insgesamt lebte Methusalah neunhundertneunundsechzig Jahre.
    1. MOSE 5, 27

    Sears blieb neben dem großen Missionszelt auf dem Bauplatz an der Ecke der Potrero- und der Clybourn-Straße stehen und wartete auf das rote Licht, das den endlosen Strom heimfahrender Autos anhalten mußte. Die Wagen bewegten sich im bläulichen Dunst der Benzindämpfe, der die milde Luft und die klare Dämmerung verunreinigte. Die Stimme des Predigers klang ehern aus dem Innern des Zelts: «Und Adam war hundertdreißig Jahre alt und zeugte einen Sohn, der seinem Bild ähnlich war, und hieß ihn Seth.»
    Die Worte drangen kaum in Sears’ Bewußtsein. Die Wirkung des Whiskys war verflogen. Er war wieder angefüllt mit der Bitterkeit der Fehlschläge. Abermals ein Tag herum, ein Tag bis zum Abend verschwendet, eine neue Ablehnung, eine andere Bar, ein frischer Whisky, wieder ein Reinfall — wo sollte das alles enden?
    Jetzt hörte er den Prediger, denn die Stimme wurde inbrünstig und lauter: «Enos war neunzig Jahre alt und zeugte Kenan und lebte danach achthundertfünfzehn Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward neunhundertundfünf Jahre, und starb.»
    Sears ertappte sich dabei, wie er versuchte, sich eine Vorstellung von dem Evangelisationsprediger zu machen, und bemerkte, daß er ihn typisierte, wie es ein Filmregisseur getan hätte: schwarzer Gehrock, glattes
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