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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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aufgewachsen, aber so klar wie jetzt war es ihm noch nie gewesen. Er hob sein Glas und kostete das säuerlich-malzige Gebräu aus Roggen und bereitete sich auf das warme Wohlbehagen vor, das das Getränk hervorrief. Als er das Glas wieder hinstellte, schmerzte seine Schulter ein wenig, und er wußte, daß die alte Rugby Verletzung ihm eine Änderung des Wetters vorhersagte.
    Und das wieder erinnerte ihn an jenen Joe Sears, der seinerzeit der beste Dreiviertel in der Rugbymannschaft Gehirn der Oberschule von Ventura gewesen war; das lag lange zurück, und damals hatten die jungen Pfadfinder aus Palo Alto, Berkeley und Washington alle auf ihn gesetzt. Dann hatte man ihn erwischt, als er mit Eintrittskarten für die Meisterschaftsspiele spekulierte; es hatte einen Skandal in der Stadt gegeben, er war aus seiner Mannschaft geflogen — und aus dem Traum, ins College zu kommen.
    Der Groll, den die Erinnerung noch immer hervorrief, richtete sich ausschließlich gegen ihn selbst, weil er so dumm gewesen war, sich erwischen zu lassen. Die meisten von den Jugendlichen hatten schlimmere Dinge verhökert als Rugbykarten.
    Joe Sears war in der kleinen Küstenstadt Ventura, gegenüber den Santa-Barbara-Inseln, geboren und aufgewachsen. Als er alt genug war, mit andern Jungen umzugehen, war er fest entschlossen, nie der Sündenbock zu sein, der, der den Schwarzen Peter zieht. Es schien nämlich zwei verschiedene Regeln für alles und für jeden zu geben, und die Welt wurde eingeteilt in die geschwätzige Masse der Gimpel und Besserwisser und die Gruppe jener Burschen, die genau wußten, wo man den Hebel anzusetzen hatte.
    Dabei hatte jeder seine eigenen Schliche, ganz gleich in welchem Beruf — der Rugbytrainer, der einem den Auftrag gab, einen Kerl von der Gegenmannschaft zum Krüppel zu treten, weil er das Spiel gewinnen wollte, das einen neuen Vertrag für ihn bedeutete; oder der Bonbonhändler an der Ecke, der ein halbes Dutzend Kinder beinah ums Leben gebracht hätte, weil er ihnen Süßigkeiten verkaufte, die er selber fast umsonst bezog, nachdem sie von der Lebensmittelkontrolle verboten worden waren; oder der Schuhmacher, der einem Pappsohlen unter die Schuhe klebte; der Dentist, der einem einen gesunden Zahn zog, nur damit man eine Brücke bei ihm bestellte; der Arzt, der einen nie ganz heilte, und erst recht die Politiker und Großsprecher in Washington oder Sacramento.
    Sears war zwar nicht für krumme Sachen, und es gefiel ihm gar nicht, wenn jemand zu Schaden kam, aber nur Esel arbeiteten für ihren Lebensunterhalt. Der geschickte Bursche suchte sich ein paar Partner, stellte fest, wo und wie er selber Wege abschneiden konnte, und ließ die andern die Arbeit tun und dabei schwitzen.
    Daß sich das für ihn nicht ausgezahlt hatte, schrieb er zum Teil den Umständen und zum Teil dem Pech zu. Er hatte so viele Berufe angefangen, daß er sich gar nicht alle merken konnte: Verkäufer, Journalist, Polizeireporter, Filmschriftsteller, Regieassistent, Angestellter bei einem Börsenmakler, Buchmachergehilfe, Laufjunge bei einem Anwalt, Grundstücksmakler, Rundfunkansager — und dazwischen hatte er all das getan, was ein junger Mann so annimmt, um einen Anzug auf dem Leib und etwas zu essen im Magen zu haben: Mechaniker in einer Garage, Tellerwäscher, Nachtkoch, Umrührer in einer Bonbonfabrik. Und dazu kam natürlich noch die lange Zeit als Soldat während des Krieges.
    Aber es hatte ihm nichts genutzt, als er entlassen wurde und sich in Los Angeles auf die Suche nach der Auster mit der Perle machte. Innerhalb von sechs Jahren hatte er den Ruf eines Burschen erworben, der immer ein bißchen geschickter war, als es ihm selber guttat. «Netter Kerl, der Joe Sears, gescheiter Junge. Aber man muß dauernd ein Auge auf ihn haben.»
    Der Barmann blickte auf das Gesicht der alten Frau hinunter, die mit funkelnden Augen aus dem Zeitungsbild aufschaute. Er sagte: «Jawoll, alle müssen wir sterben, oder etwa nicht? Sie... ich... sogar die große Hannah Bascombe mit ihrem ganzen Geld. Der liebe Gott kümmert sich nicht drum, wie reich einer ist, wenn er uns rufen läßt.»
    Das Wort Geld riß Sears aus seinem Grübeln. Er warf einen Blick auf die Geschichte, die aus San Francisco gemeldet wurde:
    «Hannah Bascombe, dem Vernehmen nach die reichste Frau der Welt, feierte ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag in ihrer Villa auf dem Nob Hill und gab dabei eines ihrer seltenen Interviews. Mit ihrer Gefährtin und Sekretärin Clary Adams
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