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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit
Autoren: William Makepeace Thackeray
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und alle Reisenden zu Lande und zu Wasser bemitleidet hatte, bestand sie darauf, mit Georgy einen Spaziergang auf dem Seedamm zu machen. Dort ging sie auf und ab, während ihr der Regen ins Gesicht schlug, und sie blickte westwärts über die hohen Wogen, die schäumend auf die Küste zustürzten, zu dem dunklen Horizont. Keiner der beiden sprach viel, nur ab und zu richtete der Knabe einige teilnehmende und ermutigende Worte an seine ängstliche Begleiterin.
    »Ich hoffe, er wird bei diesem Wetter die Überfahrt nicht wagen«, meinte Emmy.
    »Ich wette zehn gegen eins, daß er es doch tut«, antwortete der Knabe. »Sieh mal, Mutter, dort ist der Rauch vom Dampfer.« Ganz sicher, es war das erste Anzeichen.
    Zwar war der Dampfer unterwegs, aber er brauchte deshalb doch nicht an Bord zu sein. Vielleicht hatte er den Brief nicht erhalten, vielleicht wollte er nicht kommen. Hundert Befürchtungen stürzten sich auf das kleine Herz ebenso schnell wie die Wellen auf den Seedamm.
    Nach dem Rauch kam bald der Dampfer in Sicht. Georgy besaß ein hübsches Fernrohr, und geschickt bekam er das Schiff ins Blickfeld und gab nun passende seemännische Kommentare darüber, in welcher Weise sich der Dampfer näherte, der sich im Wasser hob und senkte. Das Signal »Englischer Dampfer in Sicht« stieg flatternd an dem Mast auf der Mole hoch. Ich glaube, Mrs. Amelias Herz flatterte ähnlich.
    Emmy versuchte über Georges Schulter durch das Fernrohr zu blicken, konnte aber nichts erkennen. Sie sah nur etwas Dunkles vor ihren Augen auf und nieder tanzen.
    George ergriff das Glas von neuem und bestrich damit das Schiff. »Wie es stampft«, sagte er. »Da, gerade klatscht wieder eine Welle über den Bug. Außer dem Steuermann sind nur zwei Leute auf Deck. Ein Mann liegt auf den Planken, und der andere – ein Kerl in einem – Mantel, mit einem ... Hurra! Es ist Dobbin! Tatsache.« Er schob das Fernrohr zusammen und schlang die Arme um seine Mutter. Was sie tat, können wir mit den Worten eines beliebten Dichters sagen:
daxryoen geladada
4 . Sie war sicher, daß es William war. Ein anderer konnte es nicht sein. Als sie ihre Hoffnung ausdrückte, er werde nicht kommen, hatte sie geheuchelt. Natürlich würde er kommen, konnte er denn anders? Sie wußte, daß er kommen würde.
    Das Schiff näherte sich schnell. Als sie zum Landeplatz am Kai hinübergingen, zitterten Emmy die Knie, und sie konnte kaum gehen. Sie hätte sich gern niedergekniet und ein Dankgebet gesprochen. Oh, dachte sie, mein ganzes Leben soll ein Dankgebet sein.
    Als das Schiff einlief, hatten sich wegen des schlechten Wetters keine müßigen Zuschauer eingefunden, und kaum ein Zollbeamter kümmerte sich um die wenigen Schiffspassagiere.
    Der kleine Taugenichts George hatte sich ebenfalls aus dem Staube gemacht, und als der Herr in dem alten, rotgefütterten Mantel das Ufer betrat, war dort kaum ein Mensch, der Zeuge des folgenden geworden wäre:
    Eine Dame mit triefendem weißem Hut und Schal lief ihm mit ausgestreckten Händchen entgegen und war im nächsten Augenblick gänzlich unter den Falten des alten Mantels verschwunden. Sie küßte aus Leibeskräften seine eine Hand, während die andere wahrscheinlich damit beschäftigt war, sie ans Herz zu drücken (ihr Kopf reichte gerade bis da hinauf) und sie am Fallen zu hindern. Sie murmelte allerlei, etwa: vergib ... lieber William ... lieber, lieber, liebster Freund ... küß ... küß ... küß ... und so weiter, und redete noch viel mehr solche albernen Dinge unter dem Mantel.
    Als Emmy wieder auftauchte, hielt sie noch immer eine Hand von William fest und blickte ihm ins Gesicht. Es war voller Traurigkeit, zärtlicher Liebe und Mitleid. Sie verstand seinen Vorwurf und ließ den Kopf hängen.
    »Es war höchste Zeit, daß du mich geholt hast, liebe Amelia«, sagte er.
    »Und du wirst nie wieder fortgehen, William?«
    »Nein, niemals!« erwiderte er und drückte das liebe Seelchen noch einmal ans Herz.
    Als sie aus dem Zollhaus traten, stürzte ihnen Georgy, das Fernrohr vor dem Auge, entgegen. Er tanzte um das Paar herum und schnitt allerlei possierliche Grimassen, während er sie nach Hause geleitete. Joseph war noch nicht aufgestanden, Becky nicht sichtbar (obwohl sie die drei durch die Fenstervorhänge beobachtete). Georgy lief fort, um nach dem Frühstück zu sehen, Emmy, der Miss Payne im Hausflur schon Schal und Hut abgenommen hatte, nestelte jetzt die Schnallen an Dobbins Mantel auf und ... gehen wir, wenn es recht
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