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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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heraus, was für eine erzschlaue Variante da vor deinen Augen gespielt wurde; alles büßt du dem Dreifachen J ab, fast alles.
    – Er hatte seinen Spaß an den Bürgerlichen.
    – Über die Bürgerlichen kannst du bloß lachen. Die spielen Versteck mit dir; du mit ihnen auch. Die denken wunder was, wenn sie die Stelle eines Hausvertrauensmanns wegen Umzugs oder Todesfalls besetzen können mit einem von ihren Leuten, den läßt du umdrehen, in zweiter Stufe ermahnen, in dritter belohnen, schon erfährt die Partei über die Vorgänge in einem Haus was sie braucht, oder nicht weniger als vorher. In die Wahlen der Straßenvertrauensleute bekommen die Bürgerlichen keinen Fuß. Für den Vergleich solcher Posten mit dem Hausobmann der Nazis fehlt dir das Verständnis, du warst damals nicht hier, solche Sachen sind vorbei; du kannst dagegen fragen, wer denn sonst die Gebühr für die Lebensmittelkarten kassieren soll. Die halten ihre Versammlungen für geheim; du lachst dich schief über den Heimatforscher Stoffregen, der von der neuen Verwaltung aufzählt, was daran mecklenburgisch ist, nämlich zu einer Souveränität des Landes führen könnte, später zu einem Anschluß an Dänemark. In Rostock tritt auf ein Herr Dr. Kaltenborn, der versucht die Demontage der Ernst Heinkel A. G. zu verhindern mit dem Beweis, daß die Briten den Heinkel nämlich nicht als Kriegsverbrecher betrachten; nach Bützow, wo eine in Peenemünde demontierte Sauerstoffabrik aufgebaut wird, kommen die Besitzer aus den Westzonen angereist und bieten ihre Dienste an, vorausgesetzt, du störst sie nicht mit einer zweiten Demontage: nach einer Weile kannst du nur noch den Kopf schütteln über die Findigkeit solcher Leute, die nicht einmal herausfinden wo sie sind. Laß sie denken, du seist russifiziert, ein hilfloses Kind im Wald der deutschen Kultur; eines Tages fällt auch dir auf, daß die Losungen der Partei so oft in Mittelachse auf die Hauswände geschrieben werden, du stellst solche Kindereien ab, nicht ergrimmt, mit deinem völlig unverhofften Lachen, das dir die Rippen weitet, das gefällt ihnen. Eines Tages werden sie dich noch gern haben.
    – Die eine Sache, die er nicht einsieht. Slata?
    – Na ja. Du bist dreiundzwanzig –
    – Dann will ich es nicht sein. Sie geht mit einem Deutschen, er läuft über zu den Sowjets. Womöglich zur gleichen Zeit.
    – Wenn das Dreifache J sich nicht stieß daran, warum du?
    – Es ist nicht reinlich.
    – Slata mag eine reinliche Geschichte erzählt haben. Sie war nicht mit den Briten weggelaufen. Sie hatte auf ihre Landsleute gewartet. Was weiß ich.
    – Eben. Was weißt du.
    – Du hast zum Schaden noch den Spott. Es gibt in der eigenen Partei das Gerede, du hättest Slata schon genommen, wenn sie das Dreifache J mitgebracht hätte. Du kennst den Namen, Karrierismus heißt das. Sie denken von dir nicht so wie du. Darauf kommt es dir aber an.
    – Du kannst es nicht wissen.
    – Er hatte ein Foto hängen in seinem Zimmer. Darauf waren das Dreifache J, Jenudkidses Adjutant, sein politischer Berater und, stehend hinter den dreien, eine beliebige junge Frau, blond, von sportlichem Typ, als einzige nicht lächelnd.
    – Das hätte sie dir nicht zeigen dürfen, diese Alma Witte.
    – Sie zeigte es mir zum Zeichen, daß er tapfer war. Damit ich keine dummen Bemerkungen machte, wenn er an uns vorbeiging. Auch sie wollte mich erziehen. Ich sollte einsehen, daß so einer einen Kummer haben kann wie ein gewöhnlicher Mensch.
    – Deswegen blieb er wohnen im Hotel Stadt Hamburg.
    – Schräg unter Slatas Zimmer.
    – Aber die Macht hatte er?
    – So viel Macht hatte ein Landrat von Gneez noch nie regiert. Sie wurde jede Woche größer mit der Einbildung der anderen, er hätte sie ganz. Spaß machte es ihm.
    19. Juni, 1968 Mittwoch
    Der blinde Bettler in der Lexington Avenue (meine Tage sind finstrer denn eure Nächte) hat an diesem Morgen seinem Hund einen gelben Eimer hingestellt mit klarem appetitlichem Wasser. Abends sind die Eimerränder verschmiert und das Wasser versandet. Ganz besonders gebildete Passanten haben ihre Münzspenden in das Wasser geworfen.
    In der Haupthalle des Bahnhofs Grand Central ist unter dem ungeheuer gemischten Geräusch aus Schritten und Stimmengewirr noch ein kleineres, das ist viel bekannter, es nimmt ganz unvernünftig zu in den Gängen zur Pendelbahn. Es kommt von einem Mann, der die Ubahnjetons aus den Drehkreuzen räumt. Die Jetons rasseln gegen das graue Metall, der Eimer
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