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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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überdies versteifte die amtierende Kommandantur sich nicht auf Vergnügungen beim Tanzen. Oh, was konnte sie säuerlich blicken, wenn sie Gutherzigkeit, bereitwilliges Opfer vortäuschen mußte! Das Lächeln rutschte ihr des öfteren weg, als sie die Doppeltür gleich wieder aufschließen mußte für ihre Freunde von der Union; nicht nur die, selbst Kinder hatten gewußt von dieser herrschaftlichen Halle, der halbmannshohen Eichentäfelung, den Lassewitzschen Faunen und Nymphen darüber, dem hohen Jagdszenenstuck, dem rückwärtigen Erker ganz aus Kristallglastüren und dem gartengrünen Licht überall. (Ein Kind hat sich gewundert, daß die Erwachsenen einen solchen Raum nur benutzten zu Anlässen.) Oft tagte die jerichower Union kaum, Louises Selbstgefühl hakte an bei fast jedem Mal. Da saß nun die Klupsch vorn, Vorsitzende, die Klucke; Louise gönnte ihr die Arbeit, nicht den Platz, hätte auch gern auf den Tisch geklatscht. In ihrem eigenen Haus. Der Klupsch hing mehr Fett an als ihr Knochengerüst haben wollte, es erinnerte Louise doch an die eigene Üppigkeit inmitten der ausgemergelten, abgerissenen Gestalten um sie. Was wußten die Leute davon, daß es Trauerspeck gibt! Die Klupsch durfte dann die Zeitung vorlesen, die Neue Zeit; manchmal schaffte ein Exemplar den ganzen weiten Weg von Schwerin nach Jerichow. Die Klupsch durfte das Wort erteilen. Kägebein, ihrem Angestellten, fiel dann etwas ein, zur einstweiligen Vergabe von Stadtäckern als Gartenland für Flüchtlinge, er hatte sie keineswegs um Erlaubnis gefragt. Dann sprach Frau Maaß, zum Behagen ihres Mannes, über die Unrechtlichkeiten bei der Enteignung des Großgrundbesitzes; auch Louise hatte da eine Entschädigung für angemessen gehalten, nun konnte sie bloß nicken. Damit wollte sie zeigen, daß sie auch noch da war, so kam ihre Unterschrift auf das Telegramm, mit dem die Ortsgruppe der C. D. U. Jerichow Ende Dezember 1945 dem Obersten Tulpanov mitteilte, daß er nicht schlicht nach Belieben den Vorsitz ihrer Partei austauschen dürfe. Nun wußte ein Herr Oberst Tulpanov in der Sowjetischen Militär-Administration Berlin von einer Louise Papenbrock, und daß sie aufgemuckt hatte. An Brüshaver konnte sie sich überhaupt nicht halten; der saß dabei, noch in der ersten Reihe wie ein Gast. Gewiß, er sprach mit, aber von deutschen Fehlern, von ehrlicher Besserung. Louise wollte ihm vergeben, er hatte sich das im Nazilager so ausdenken müssen; wie aber kam es, daß sie immerfort sich gemeint fühlte? Wagte er das? Ebenso, wenn er auf der Kanzel stand und von Tugenden predigte, so die Freundschaft, daß sie nicht zählten, es sei denn sie wären verwandelt in Eigenschaften. Meinte er die … Zurückhaltung Louises im Umgang mit den von Haases? Das konnte er nicht wissen. Das durfte er ihr nicht sagen. Es kam öfter vor, da hätte sie allen siebzehn Anwesenden der Parteiversammlung am liebsten zugerufen: Und ich? Ja was krieg ich dafür? Zahlt ihr mir denn Miete?
    – Schrieb da wieder einer mit bei Brüshaver?
    – Nicht in der Kirche. In Papenbrocks Saal ja.
    – Dann hatten sie keine Macht als Reden.
    – Damit war ihnen der Raum für Reden eingeräumt, den die Kommunistische Partei nicht füllen konnte. In der Gesellschaft, die im Schützenhaus bei Prasemann zusammenkam, galt es erst recht als ein Indianerspiel mit den Sowjets. Da ließ sich ja nicht nur Duvenspeck (L. D. P. D.) vernehmen mit der Einsicht, daß im Liberalismus die Freiheit jedes einzelnen mit der Freiheit jedes anderen vereinbar, also durch sie beschränkt sein müsse. Wenn die K. P. an einem Sonntag im Oktober Leute zusammenholen ließ zum Abbrennen von Gutshäusern, »die die Landschaft verschandeln«, obwohl das gewiß eher die Tagelöhnerkaten taten, so hielt Heimatforscher Stoffregen, eben befreit von Schienendemontage, einen feinsinnigen Vortrag über den Einfluß italienischer und englischer Baustile auf Profanbauten Mecklenburgs, »die wir am vorigen Sonntag zum letzten Mal erblicken durften«; im Protokoll stand etwas von der Dringlichkeit der Kartoffelernte.
    – Dann wurde Stoffregen verhaftet. Ach, Gesine.
    – Nein. Damit machte Stoffregen sich bekannt, so war es gewünscht. Leute wie Duvenspeck hingegen, und Bergie Quade, ob sie nun als Hausfrau oder Beamte ehemals unpolitisch gewesen sein wollten, sie wurden gebraucht, für Posten im Antifa-Frauenausschuß, als Gemeindebeiräte, und womöglich fühlten sie sich deutlicher, wenn sie die Zuteilung eines
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