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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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auch fünf Hektar eine Ackernahrung sein können, nicht die fünfzehn, die die Partei zwar 1932 in der Linie hatte; hoffentlich hat es bei den anderen Genossen auch angeschlagen. Du weißt die Gründe: die sowjetische Emigration hat nur Kader produzieren können, nicht einmal genug, keineswegs Fachleute für Technik oder Landwirtschaft; nimm vorlieb. Wen die Nazis nicht totgemacht haben in ihren Gefängnissen und Lagern, das sind kaputte, kranke, müde Leute; es muß mit ihnen auch gehen. Du mußt ihnen die Flausen ausreden, die sie sich ausgedacht haben, fern der Partei. Sie kommen dir mit Krawallsozialismus, mit totaler Enteignung, mit landwirtschaftlicher Großproduktion, du darfst nichts verderben, sie sollen allein herausfinden, daß wir die Verwaltung sozialistischer Güter nicht den selben Inspektoren anvertrauen dürfen, die den Agrarkapitalisten gedient haben. Es hält dir einer entgegen, Insasse eines Lagers von 1939 an, daß er nach der braunen Zwangsjacke nicht eine rote anziehen will, du erklärst ihm den besonderen deutschen Weg. Sie verlangen von der Partei die unumschränkte Machtergreifung durch die Arbeiterklasse, du bringst ihn sachte darauf, daß der Sozialismus nur mit dem vorhandenen Personal gemacht werden kann, mit den Bauern, den kleinen und mittleren Bürgern, gewiß der führenden Arbeiterklasse; dazu eben hat die Rote Armee die Großgrundbesitzer, die Großmilitärs, die Großbanken, die Großindustrie weggenommen. Weggeschickt. Anderen will es nicht in den Kopf, daß Mecklenburg mit den Demontagen seine proletarischen Zentren in Rostock und Wismar verliert; ausgerechnet du mußt ihnen aufzählen, daß die Arbeiter bei Heinkel und Arado Kriegsflugzeuge gebaut haben, bei Neptun Kriegsschiffe und Raketenteile, bei Dornier Flugboote, du stellst die Frage der Wiedergutmachung erst moralisch, dann politisch. Wenn sie dich um Vermittlung bitten bei Verhaftungen durch die Sowjets, kannst du nur stumm den Kopf schütteln und andeuten, daß die Freunde in der Sicherheit nur sich selbst vertrauen dürfen, außerdem mit Recht. Wieder einer hat die Demontagen begriffen, aber nicht die Läden von Rasno- oder Techno-Export, in denen die Sowjets Gold, Edelsteine, Porzellan, Ölgemälde, letzten Wertbesitz bis hin zum Trauring aufkaufen, gegen Zigaretten zum exakten Schwarzmarktpreis; den fragst du, wer denn solche Sachen hat, er etwa? Wenn sie dich nach den Jahren 1935-1938 in der Sowjetunion fragen, nach Emigranten, die nicht wiedergekommen sind, bist du für Augenblicke zu jung; dann fragst du nach der Ernte. Du hast auch dein Päckchen zu tragen. Du mußt, was bleibt dir übrig, einen Bürgermeister in Gneez dulden, gerade von dem weißt du aus der Aussage eines Gefangenen, er hat Genossen zur Nazizeit überredet zum Überlaufen, also zu vorzeitiger Meldung in die Wehrmacht; mit einem Tabakladen hat er überlebt, Senator nennen ihn die Leute, diesen Sozialdemokraten. Damit nicht genug, du mußt vorerst Bürgerliche in die Verwaltung lassen, da genügt schon, daß sie wenigstens nicht in der Nazipartei waren, daß sie einmal eingesperrt waren wegen eines verweigerten Hitlergrußes; zu oft ist noch wichtiger, daß sie etwas vom Wirtschaften verstehen. Der Präsident der Landesbank Mecklenburg-Vorpommern ist Dr. Wiebering, bürgerlicher Antifaschist, ja, Vizepräsident ist Forgbert, Kommunist, der soll das Bankgeschäft erst noch lernen. Wird er das? Du selbst, du schwebst ein wenig; zwar geht jeder Vorgang über deinen Tisch, du unterschreibst die Genehmigung, von jedem Erlaß wird ein Doppel abgelegt: was aber tat dein Stellvertreter, dieser Dr. Dr. Heinrich Grimm, nachdem die Nazis ihn aus dem Amt des Landrats verstießen? anständig will er gewesen sein. Was kann das schon bedeuten. Wer ist diese Elise Bock, durch deren Hände und Maschine fast alle deine Akten gehen, mit wem geht sie um, warum mag sie nicht in die Partei? Der wiederum würdest du noch lieber vertrauen als all den Leuten, die jetzt gelaufen kommen mit ihren Anträgen auf Mitgliedschaft, von ihrem guten Willen sprechen sie, einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus geben sie an als Begründung, von der Partei haben sie keinen blassen Schimmer, du mußt irgendwo in diesem Landkreis Gneez ein leeres Haus finden, in dem du sie schulen kannst, sie abklopfen, sie vorbereiten auf die Partei, deren Buch du ihnen nicht vorenthalten darfst. Diese Sprache. Kåmen sei, so kåmen sei nich; kåmen sei nich, so kåmen sei; bæter ist’t, sei
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