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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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um ihm zu hinterbringen, was Ntontò Ihnen im Beichtstuhl gesagt hat?« fragte Frau Colajanni.
    »Stimmt, das kann ich nicht machen. Aber ich könnte mir in den Hintern beißen.«
    »Ich wäre an Ihrer Stelle nicht so sicher, daß ein Einvernehmen zwischen den beiden bestand«, gab Frau Clelia zu bedenken, da sie sich an den Tag erinnerte, an dem der Apotheker sie kräftig durchgewalkt hatte. »Seine Potenz, die wie ein Naturwunder ist, konnte Ntontò von ferne gespürt haben. Was wissen wir schon von den magischen Fähigkeiten des Apothekers?«
    »Man müßte Ntontò fragen«, sagte Frau Colajanni abschließend.
     
    Aber es war unmöglich, Ntontò diese Frage zu stellen. Baron Uccello hatte die Aufgabe, der Marchesa alles genau zu erklären. Als er mit seiner Rede am Ende war – sein Schnauzer und sein Bart, vollgesogen mit Tränen, schienen dünnflüssiger Teig –, waren die einzigen Worte, die über Ntontòs Lippen kamen: »Ich danke Ihnen, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, Zizì.«
    Frisch wie eine Rose setzte sie sich Schlag zwölf Uhr zu Tisch und schlürfte ihr Süppchen direkt vom Teller, ohne den Löffel zu benutzen, und bekleckerte sich von oben bis unten.
    Peppinella ließ kein Auge von ihr und fand sie später auf dem Bauch liegend am Boden, wo sie mit zwei Papierkugeln spielte. Am nächsten Tag gab sie Peppinella und Mimì durch Stampfen, Weinen und Gestammel mit piepsender Kinderstimme zu verstehen, daß sie ihr den Speicher aufschließen sollten. Dort fand sie ihr altes Kinderbett wieder, kroch hinein, pißte in die Hosen und schlief am Daumen nuckelnd ein. Peppinella rief Baron Uccello, der Ntontò auf dem Speicher aufsuchte. Als sie ihn erblickte, versteckte sie sich hinter einer Truhe und kreischte, daß sie den Onkel Doktor nicht wolle, da sie kein Wehweh habe. Vergeblich versuchte der Baron, sich ihr zu erkennen zu geben. Fix und fertig, bat er Peppinella um ein Glas Wasser, und die Dienerin ging nach unten, es zu holen. In diesem Augenblick verließ Ntontò ihr Versteck hinter der Truhe und blickte ihm geradewegs in die Augen. Und der Baron erwiderte ihren Blick und erkannte innerhalb einer Sekunde, die eine Ewigkeit dauerte, daß darin keine Spur von Wahnsinn oder von wiedergefundenem Kinderglück stand. Es waren die Augen einer fast dreißigjährigen Frau, die viel Leid durchgemacht hatte und sich dessen voll bewußt war. Ein eisiger Schauder durchfuhr ihn.
    »Welch widerliche Geschichte, nicht wahr, Zizì?«
    Als Peppinella zurückkehrte, kauerte sie sich schnell hinter der Truhe nieder. Nicht ein Zweifel – denn nach einem solchen Blick und solchen Worten war jeder Zweifel ausgeschlossen –, sondern eine eisige Schneide fuhr in den Kopf des Barons, und diese Wunde begleitete ihn für den Rest seines Lebens.
     
    Der Strafverteidiger lief gegen eine Gummiwand: Bei Fofòs umfassendem Geständnis und ohne jede Reuebekundung konnte das Urteil nicht anders ausfallen.
    »Wir legen jetzt Berufung ein«, sagte der Anwalt.
    »Nein«, erwiderte der Apotheker entschieden.
    »Nicht in Berufungsinstanz zu gehen würde auch die Berechnungen des Oberleutnants zunichte machen«, bemerkte der Postbeamte Colajanni. »Nach dieser Theorie hätte Fofò vierundsechzig Monate nach dem Todesdatum von Totò Peluso und Anhang krepieren müssen.«
    »Für wann ist die Hinrichtung angesetzt?« fragte der Geometer Fede.
    »In einer Woche.«
    »Dann hätten wir es doch. Der Oberleutnant hat recht behalten. Er stirbt genau zehn Monate nach seiner Festnahme.«
    »Wollen Sie mir das vielleicht erklären?«
    »Aber gewiß doch. Es bedeutet nur, daß die Zahlen einen anderen Weg eingeschlagen haben, sie haben die Richtung geändert. Vierundsechzig Monate, haben Sie gesagt? Also gut, diesmal handelt es sich einfach um eine Quersumme: Vier plus sechs macht zehn.«
     
    Die Soldaten bezogen Stellung, die erste Reihe ging in die Knie, die zweite stand kerzengerade. Emiliano di Saint Vincent näherte sich dem Verurteilten mit einem schwarzen Tuch in der Hand, und während er ihm die Augen verband, flüsterte er mit gebrochener Stimme: »Es tut mir ehrlich leid.«
    »Mir, ehrlich gesagt, nicht«, meinte Fofò La Matina.
     
     

Anmerkung
     
     
    Ein bekannter englischer Film erzählt die Geschichte eines Typs aus der Seitenlinie eines Adelsgeschlechts, der durchdreht, weil er glaubt, der alleinige Träger des Titels sein zu müssen. Und mit einem Quentchen Glück, dem er mit großem Einfallsreichtum und einer
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