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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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außerdem, wie jeder gute Jäger, den Wunsch hatte, daß die Waffen sich seinem Leib anpaßten wie eine zweite Haut. Aber die Jagdtage machten dem Apotheker schwer zu schaffen. Er konnte noch so wach und konzentriert sein, der Oberleutnant war immer schneller und präziser beim Schießen. Er legte an und drückte den Abzug mit einer solchen Eleganz, ohne die geringste Anstrengung zu verraten, und doch blieben jedesmal Rebhuhn oder Wachtel, Kaninchen oder Hase auf der Strecke. Fofò konnte einfach nicht mithalten.
    »Es sieht so aus, als zielten Sie nicht einmal, Oberleutnant.«
    »In der Tat schieße ich nicht so, wie Sie es machen. Ich richte die Gewehrmündung nicht auf das Tier, sondern auf das Bild, das es mir vermittelt.«
    Eines Tages, als sie sich nach einer langen Treibjagd ausruhten, sagte Emiliano di Saint Vincent zum Apotheker: »Wissen Sie schon? Morgen ist mein Geburtstag.«
    »Feiern wir ihn doch in meinem Hause«, sagte der Apotheker leichten Herzens.
     
    Ntontò war glücklich, ein neues Gesicht zu sehen, und ließ Peppinella ein Mahl zubereiten, das man nicht so bald vergessen würde. Der Oberleutnant kostete von jedem Gericht, ohne schlappzumachen. Er und Ntontò hatten offensichtlich rasch Sympathie füreinander gefunden; sie redeten und lachten in einem fort, so daß Fofò das Gefühl hatte, er stünde besser auf und ginge schlafen. Zwischen den beiden herrschte im übrigen eine kuriose Ähnlichkeit, beide waren großgewachsen und blond mit blauen Augen, sie hätten leicht Bruder und Schwester sein können. Außerdem vermittelten sie den Eindruck, als würden sie einander schon seit Zeiten kennen. Dem Apotheker brummte der Kopf von dem ununterbrochenen Gerede, und dumpfe Müdigkeit befiel ihn. Ein Glas Wein vor sich, sank sein Kopf auf den Tisch. Als der Moment des Abschieds kam, erwachte er wieder.
    »Gehen wir morgen auf die Jagd?« fragte er den Oberleutnant.
    »Morgen kann ich nicht. Aber übermorgen, mit Vergnügen.«
    Sie trafen eine Verabredung.
     
    Der Piemontese wollte sich, höflich, wie er war, für die exquisite Gastfreundschaft der Marchesa und des Apothekers revanchieren; er beschloß, wie es in seiner Heimat Tradition war, einen kinderleichten Schuß zu verfehlen. Und Fofò, der mit einem Rebhuhn im Rückstand war, hatte jetzt endlich aufgeholt. Sicherlich war es die Freude über diesen Ausgleich, den er zuvor noch nie erreicht hatte, wenn sie zusammen auf die Jagd gegangen waren, die von diesem Moment an seine Hand und seinen Blick lenkte. Innerhalb weniger Stunden war sein Beutegurt dicht bestückt. Nie und nimmer wäre der Oberleutnant jetzt imstande, seinen Siegervorsprung aufzuholen.
    Derart verbissen ballerten sie um sich, daß sie sogar ihr Vesperbrot vergaßen, und erst gegen fünf Uhr nachmittags, als sie sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten konnten, gönnten sie sich eine Pause. Fofò saß mit den Schultern gegen einen Baumstamm gelehnt, eine Flasche Wein zwischen den Beinen, die Hunde lagen zu seinen Füßen, der Freund hockte neben ihm, und ringsum duftete es nach frischem Gras. Ein unbekanntes Gefühl durchströmte ihn. Er fühlte sich leicht wie eine Feder und hatte Angst, daß ein starker Windstoß ihn bis zu den Baumwipfeln und noch höher tragen könnte, um sich in den Wolken zu verlieren. Seine Brust hatte sich geweitet, und bei jedem Atemzug war ihm, als hätten zwei Schläuche voll Luft darin Platz. Gedankenverloren beobachtete er eine Ameise, die über seinen Handrücken krabbelte, und jedes Härchen war für sie ein baumgroßes Hindernis.
    »… und so haben wir es mit einer einzigartigen geometrischen Reihe zu tun«, lautete die Schlußfolgerung des Oberleutnants.
    Fofò fuhr zusammen, er hatte nichts von dem gehört, was der Freund zuvor gesagt hatte. Er sah ihn an. »Sie verzeihen, aber ich habe nicht zugehört.«
    Der Oberleutnant blickte ihn besorgt an. »Was haben Sie nur? Geht es Ihnen schlecht?« fragte er und legte ihm den Arm um die Schultern; wie konnte er auch ahnen, daß Fofòs gespannte Gesichtszüge und verzogene Mundwinkel echtes Wohlgefühl ausdrückten?
    »Nein, mir geht es hervorragend. Was sagten Sie gerade?«
    »Ihre werte Frau Gemahlin, die Marchesa, hat es, als sie mir die schmerzlichen Ereignisse schilderte, offenkundig nicht bemerkt. Und nicht einmal Sie, nehme ich an.«
    »Aber was hätte ich denn bemerken sollen?«
    »Die geometrische Reihe. Es verhält sich wie folgt, bezeichnen wir das Datum des Selbstmords des
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