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Jagdhunde (German Edition)

Jagdhunde (German Edition)

Titel: Jagdhunde (German Edition)
Autoren: Jørn Lier Horst
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und das Licht zurückwarfen.
    Wisting schloss die Augen und konzentrierte sich, bevor er ihr gegenüber Platz nahm. Als Suzanne es dem Fährmann auf dem Hudson River gleichgetan hatte, war es Wisting vorgekommen, als würde sie ihm davonsegeln. Nachdem sie das Café eröffnet hatte, das lange in ihrem Kopf herumgespukt war, schien es ihm, als wäre sie zu einer anderen Frau geworden als der, die er in sein Leben gelassen hatte. Am ehesten ging es dabei vielleicht darum, dass sie keinen Anteil mehr an seinem Leben nahm. Das Café war für sie das Wichtigste geworden und verlangte ihr einiges ab. Sechs Tage pro Woche war es geöffnet, jeden Tag zwölf oder vierzehn Stunden. Fast die ganze Summe, die ihr nach dem Verkauf ihres Hauses und ihrem Einzug bei Wisting geblieben war, hatte sie in das Café investiert. Zeit allerdings war die wichtigste Investition. Zwar beschäftigte sie ein paar Aushilfen, erledigte das meiste jedoch selbst, einschließlich Putzen und Buchhaltung. Als sie zusammenzogen, hatte sie eine Leere und einen Mangel ausgefüllt, die nach Ingrids Tod entstanden waren. Jetzt war viel von dieser Leere zurückgekehrt und nur selten hatten sie Zeit, miteinander zu reden. Meist gab es nur ein paar kurze Stunden, so wie jetzt nach Geschäftsschluss.
    Wisting streckte seine Hände über die Tischplatte und verschränkte sie mit Suzannes. Er war unsicher, wo er anfangen sollte. Noch immer konnte ihm der Cecilia-Fall schlaflose Nächte bereiten, aber nur selten sprach er darüber.
    »Vor siebzehn Jahren verschwand ein Mädchen namens Cecilia Linde«, setzte er an.
    »Ich kann mich daran erinnern«, unterbrach ihn Suzanne und blickte in dem leeren Café umher, so als wäre sie ungeduldig. »Damals bin ich gerade hierhergezogen. Sie war die Tochter von Johannes Linde.«
    Wisting nickte. Johannes Linde war ein umtriebiger Immobilieninvestor und Geschäftsmann, der Mitte der Achtzigerjahre durch die Gründung eines eigenen Modelabels bekannt geworden war. Jeder zweite Jugendliche war mit einem von diesen unförmigen Canes- Pullovern herumgelaufen. Seine Tochter hatte auf den zahlreichen Werbeplakaten als Fotomodell posiert.
    »Sie hatten draußen bei Rugland ein Landhaus«, fuhr Wisting fort. »Dahin fuhren sie jeden Sommer. Johannes, seine Frau und die beiden Kinder Cecilia und Casper. In jenem Sommer war Cecilia zwanzig. Eines Nachmittags, am Samstag, dem 15.   Juli, verschwand sie einfach.«
    Die Kerze auf dem Tisch flackerte. Das Wachs lief in dünnen Streifen am Kerzenstumpf herab und bildete schnell trocknende Pfützen auf der Tischdecke. Suzanne blickte ihn weiter an und wartete auf eine Fortsetzung.
    »Kurz nach zwei machte sie sich auf zu einer Joggingtour«, erläuterte Wisting. »Kurz vor sieben meldete sie ihr Vater als vermisst.«
    Ein Windstoß brachte das Haus zum Ächzen. Der Regen prasselte gegen die Fenster.
    »Es war der Sommer, in dem es so heiß war«, erinnerte sich Wisting wie nebenbei. »Cecilia Linde trainierte fast täglich. Sie lief lange Touren, hatte aber keine feste Route. Es gibt da draußen ein Gewirr aus Wanderwegen und schmalen Pfaden, das sie gerne erforschte, und manchmal konnte sie zwei Stunden am Stück unterwegs sein. Die Suchaktion wurde dadurch ziemlich erschwert. Ihre Familie glaubte, sie hätte sich vielleicht den Fuß verrenkt oder wäre gestürzt und hätte sich dabei verletzt. Aber es war noch nicht die Zeit, in der alle ein Handy hatten, und demnach hätte sie auch nicht einfach anrufen und um Hilfe bitten können. Lindes suchten sie in der näheren Umgebung, doch als sie sie nicht fanden, riefen sie die Polizei. Ich war der Erste von der Fahndungsabteilung, der mit der Familie sprach, und so wurde es meine Aufgabe, sie zu finden.«
    Wisting schloss für einen Moment die Augen. Vor siebzehn Jahren hatte er eng mit Frank Robbek zusammengearbeitet. Er war ein Jahr jünger als Wisting und hatte die Polizeischule kurz nach ihm beendet. Sie hatten gut harmoniert, doch während der Cecilia-Sache war irgendetwas geschehen. Robbek hatte sich zurückgezogen und mit anderen Fällen beschäftigt. Weder Wisting noch die Kollegen tadelten ihn deswegen. Denn sie alle wussten, was er durchmachte, und dass Cecilias Verschwinden ein persönliches Leid für ihn darstellte.
    »Wir suchten den Abend und die ganze Nacht hindurch«, fuhr Wisting fort und schob die Gedanken an Frank Robbek beiseite. »Immer neue Mannschaften kamen hinzu. Hundestaffeln, Zivilschutz, Rotes Kreuz, Pfadfinder,
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