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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht
Autoren: Wallace Hamilton
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einen Pferdehals legt.
    «Ich möchte den Platz am Vorderfenster», sagte Dennis mit hoher, aber bestimmter Stimme.
    «Nein, Kevin ist der ältere. Er hat die Wahl.»
    Kevin zögerte einen Moment. Dann sagte er selbstsicher: «Das ist mein Platz am Vorderfenster.»
    Dennis sah ihn nur mit gesenktem Gesicht unter seiner Mähne an. Wortlos trug er seinen Koffer zum rückwärtigen Bett. Es gab Kevin einen beklemmenden Stich, aber er packte seinen Koffer aufs vordere Bett.
     
    Kevin erwachte. Er wußte nicht weshalb; es war noch dunkel draußen. Aber da lag er nun, hellwach. Für einen Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Das Bett kam ihm fremd vor. Das Licht der Straßenlaterne stach grell durchs Fenster. Die Verkehrsgeräusche klangen verschwommen. Dann erinnerte er sich wieder. Er war in der Burkett Street, mit Millie, Jake und Dennis. Drei Tage lag es nun zurück, daß er von Laureldale hierhergezogen war. Noch immer hatte er dieses merkwürdige Gefühl in seiner Magengrube. Er fühlte sich bedrängt. Die Straßen kamen ihm wie Mauern vor, die Häuser schienen auf ihn zu stürzen und ihn zu ersticken.
    Alles, was er nun hatte, war seine Mutter. Aber sie schien nur durchs Haus zu schleichen, ein Schnapsglas in der Hand, hier und dort herumpusselnd, ohne eigentlich tatsächlich irgendwas zu tun, während Jake in seinem großen Sessel vor dem Fernseher saß, umgeben von Zeitungen und Bierdosen, und irgendwie das ganze Haus beherrschte.
    Es entging ihm nicht, wie Dennis sich bei Jake lieb Kind machte, wie er ihm Bier aus dem Kühlschrank holte, über seine Witze lachte und sich beim Fernsehen sogar auf seinen Schoß setzte. Ihm entging auch nicht, wie Dennis vor Jake durchs Wohnzimmer stolzierte – den Körper angespannt, das Kreuz durchgedrückt, den Hintern herausgestreckt. Kevin fiel auf, wie ein gewisses Funkeln in Jakes Augen trat, wenn er Dennis ansah, ein Glitzern, das Millie und ihm gegenüber verschwand.
    Nicht, daß Jake ihn nicht beachten würde. Jake behandelte ihn kumpelhaft von Mann zu Mann. Er erzählte ihm Geschichten über die alten Zeiten, als noch Straßenbahnen durch die Houghton Street fuhren und er hinter seiner Kurbel gestanden hatte und aus der Innenstadt bis hinaus nach Grover’s Road seine Tour gefahren hatte. Jake geriet ins Schwärmen, wenn er von Straßenbahnen erzählte, «‘nen Bus zu fahren ist, als ob man ‘ne Kuh reitet», sagte er traurig, «aber die Straßenbahn... da hatte man noch tatsächlich was zu tun.»
    Trotzdem, Kevin fühlte sich unbehaglich, wenn er sich mit Jake unterhielt. Die aufgeschwemmten Wangen, die Kraft seiner Hände, das gelegentliche Aufblitzen seiner Augen waren ihm nicht ganz geheuer. Kevin wollte Jake ganz gewiß nicht wütend werden sehen, und er wollte auch nicht, daß seine Mutter das erleben müßte.
    Kevin blickte aus dem Fenster in den nächtlichen Himmel. In der Ferne hörte er eine Feuersirene. Unruhig wälzte er sich in seinem Feldbett hin und her und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn das Haus brennen würde. Er stellte sich vor, wie die Flammen sich über die Treppe nach oben in die Dachkammer fräßen und wie er dann aus dem Fenster klettern und zwei Stockwerke hoch über der Straße am Sims hängen würde. Würde er springen? Oder würde er sich weiter an den Sims klammern und hoffen, daß jemand ihn retten würde? Und was würde mit Dennis passieren? Vielleicht würde er gar nicht aufwachen. Vielleicht würde er von den Flammen eingeschlossen werden. Er dachte darüber nach. Dann malte er sich die Vorwürfe aus, weil er seinen kleinen Bruder nicht gerettet hätte und wie seine Mutter weinen würde und ihn immer mit anklagendem Schweigen ansähe. Er könnte sagen, daß er es versucht hätte. Ja, das könnte er sagen. Aber sie würde ihm nicht glauben. Er würde es sich selbst nicht glauben.
     
    Erst war er kaum wahrnehmbar, aber dann wurde der Geruch immer strenger, süßlich‐ätzend, an Bananen erinnernd. Schnuppernd hob er seinen Kopf in Richtung Fenster. Wo kam dieser Geruch her? Aber der Luftzug vom Fenster war frisch. Der Gestank kam aus dem Haus. Es roch nun wie nach frischer Farbe. Aber er wußte, daß Mutter und Jake zur selben Zeit wie er ins Bett gegangen waren und daß bis dahin niemand gestrichen hatte.
    Dann hörte er ein Geräusch vom anderen Ende der Dachkammer, einen sanften rhythmischen Klang wie Atmen, aber das Geräusch an sich kam von knisterndem Papier. Kevin lag ganz still, verwirrt von dem
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