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Jack Taylor fährt zur Hölle

Jack Taylor fährt zur Hölle

Titel: Jack Taylor fährt zur Hölle
Autoren: Ken Bruen
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rannte zum Radio, um es lauter zu stellen, merkte mir den Beisetzungstermin und:
    »Es wird gebeten, von Blumenspenden abzusehen. Stattdessen sind Zuwendungen an das Galway-Hospiz willkommen.«
    Ich wusste nicht, ob das eine Beerdigung sein würde, der ich beiwohnen wollte. Sollte nächsten Vormittag um elf ab Augustinerkirche losgehen. Wenn ich schon sonst keinen Grund hatte, sollte ich hin, um sicherzugehen, dass er tatsächlich mause war.
    An jenem Abend trug ich ein Sweatshirt, Jeans und meinen Polizeimantel. Er war zwar angesengt, aber immer noch heil. Um Viertel nach acht kam ich zu McSwiggan’s. Undinchen war bereits da und spielte mit einer Flasche Diät-Coca. Ich fragte:
    »Soll ich Ihnen noch eine holen?«
    »Nein.«
    Ich bestellte einen doppelten Jameson; fand, dass ich mit meinem eingeschränkten Pillenkonsum bisher prima zurechtgekommen war. Ich setzte mich ihr gegenüber hin, sagte:
    »Wir gehören hier schon fast zur Einrichtung.«
    Kein Lächeln, keine Reaktion. Sie trug ein weißes T-Shirt, Marine-Jeans. Ihr Gesicht war ohne Make-up, und dadurch sah sie streng aus, unnahbar. Sie griff in ihre Handtasche, zog ein Notizbuch heraus, sagte:
    »Interessante Person, diese Kirsten Boyle.«
    »So kann man sie auch beschreiben.«
    Sie starrte mich voll an, fragte:
    »Haben Sie ein Verhältnis mit ihr?«
    »Kein sehr gutes.«
    »Das ist nämlich ihr Tätigkeitsgebiet, sie sammelt Männer.«
    Ich gab keinen Kommentar, und sie hob an:
    »In Wirklichkeit heißt sie Mary Cowan. Aus Waterford, unterer Mittelschichtshintergrund, normal aufgewachsen, nichts Ungewöhnliches. Mit sechzehn hat sie einen reichen Typ aus England kennengelernt, ist mit ihm nach England durchgebrannt.«
    »Ist kein Verbrechen.«
    »Zehn Jahre später taucht sie in Galway auf, hat einen neuen Namen, einen neuen Akzent und einen vor Kurzem verstorbenen Ehemann.«
    »Oh.«
    »Vor fünf Jahren hat sie wieder geheiratet und wurde Mrs Boyle. Vor und nach dem Tod ihres Mannes hatte sie einen ziemlichen Männerverschleiß. Ihr Mann starb an einem Herzinfarkt; er wurde zügig eingeäschert. Offensichtlich hat sie Freunde, die zweckdenken können. Normalerweise hätte es eine Obduktion gegeben.«
    Ich wiederholte:
    »Zweckdenken.«
    »Was?«
    »Das Wort scheint an ihr zu kleben.«
    »Was an ihr klebt, ist Einfluss. Sie kennt die richtigen Leute.«
    »Da haben Sie nur allzu recht.«
    Sie nahm einen Schluck Coca, fragte:
    »Warum interessieren Sie sich für sie?«
    »Ich sollte sie überprüfen.«
    »Sie überprüfen si e … Nein, nei n … Sie überprüfen den Tod ihres Mannes.«
    Als ich nicht antwortete, sagte sie:
    »Es gibt nichts, was beweisen würde, dass sie irgendwas getan hat.«
    Ich fragte:
    »Wie haben Sie so viel herausgefunden?«
    »Mein Onkel Brendan war mir ein guter Lehrmeister. Sein Lieblingsspruch lautete: ›Wichtig ist nicht, was du weißt, sondern wo du’s herkriegst.‹«
    Ich sagte:
    »Er wäre bestimmt stolz auf Sie gewesen.«
    Etwas Gepeinigtes glitt ihr übers Gesicht, dann sah sie wieder streng aus. Sie sagte:
    »Ich bin so sauer auf ihn.«
    Ich nickte, und sie schnappte:
    »Auf Sie bin ich auch sauer.«
    »Auf mich?«
    »Sie waren doch sein Freund, oder?«
    »Ä h … Ja.«
    »Warum haben Sie nicht auf ihn aufgepasst?«
    »Ich konnte mich nicht konzentriere n … «
    Sie stand auf, spuckte fast:
    »Und wann können Sie sich konzentrieren? Wenn Sie sich große Whiskeys bestellen, hören Sie dann besser zu? Sie waren die jämmerliche Karikatur eines Freundes.«
    Als sie weg war, fiel mir ein, was Babs Simpson einst gesagt hatte:
    »Alkoholiker sind fast immer charmant. Das müssen sie sein, weil sie ständig neue Freundschaften schließen müssen. Die alten werden zu schnell aufgebraucht.«
    Sie war Herausgeberin von Vogue und Harper’s Bazaar gewesen.
    Ihre Anklage hatte mir in der Seele wehgetan. Ich glaube nicht einmal, dass sie als Anklage gemeint gewesen war. Wahrscheinlich sprachen nur Verständnis und Resignation aus diesen drei Sätzen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß und in mein Glas stierte. Aller Kummer, den ich bewirkt und erlitten hatte, war auf meine Seele eingestürmt gekommen. Selbst zu den allerbesten Zeiten hatte ich mich selbst nie »gemocht«. In diesem Augenblick war ich voller Selbstekel. Dann verstand ich, wie Brendan es geschafft hatte, eine Schlinge zu knüpfen, auf einen Küchenstuhl zu steigen und zu baumeln. Eine Frau mittleren Alters räumte und wischte die Tische ab. Teilnahmslos
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