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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
Autoren: Veronica Wolff
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an Gott, Annelise?«
    »Nun, irgendwer besaß die feine Ironie, einen IQ von hundertfünfundachtzig in das Hirn einer Blondine zu packen.«
    Zu meiner Verblüffung brach Ronan in schallendes Gelächter aus. Laut und mit einem kräftigen Bass, als säße er in einem Pub vor der Glotze und sein Team hätte eben das entscheidende Tor erzielt.
    Ungelogen, er brachte meine Welt ins Wanken. In der Regel schien es mir, dass ich meine Witze in einer Sprache abließ, die kein Schwein verstand. Hin und wieder glaubte ich sogar, dass die anderen auf meine Kosten Witze rissen – und ich schwöre, das war echt beschissen. Er dagegen kapierte sofort, was ich meinte, und sein kumpelhaftes Gelächter brachte mich zum Schweigen. Außerdem war seine dunkle Stimme so verdammt sexy.
    Er hielt den Blick immer noch auf mich gerichtet und fragte schließlich: »Wohin?«
    »Keine Ahnung.« Ich schwebte auf dem Echo seines Lachens, berauscht von dem Gefühl, dass mich jemand verstand. Entsprechend lässig fiel meine Antwort aus. »Zur Küste?«
    »Zur Küste«, wiederholte er schlicht. Es war die Wucht. Da saß ich also in einem Wagen, der garantiert mehr kostete als alles, was ich je zu Gesicht bekommen hatte, neben einem Typen, der es mit jedem Filmstar aufnehmen konnte – und der keine Miene verzog, wenn sich die Frau neben ihm mal eben wünschte, ans Meer zu fahren.
    Ronan nahm die Auffahrt zur Interstate in Richtung Süden. Es war die Standardausgabe des nervtötenden Autobahn-Teilabschnitts. Wenn ihr euch wundert, warum Florida so viele Serienkiller hervorbringt, dann fahrt mal eine der Routen entlang, die dieses Land zerschneiden. Man sieht das Böse praktisch vom Asphalt aufsteigen wie das Hitzeflimmern, das einen auf langen, einsamen Fahrten begleitet.
    Nach einer Weile kam er auf unser Ziel zu sprechen. »Was erwartet dich an der Küste?«
    »Frag lieber, was mich dort nicht erwartet!« Zum Beispiel ein versoffener Dad, eine verhasste Stiefmutter und ein weiteres Semester als gesellschaftliche Außenseiterin an meiner Highschool.
    Ich sank in mich zusammen, wie immer, wenn ich an Christmas dachte. Doch ganz bewusst hob ich wieder das Kinn und straffte die Schultern. »Versuch du mal, in der Pampa jenseits von Orlando zu leben. Das ist voll der Stress. Knallheiß. Überall sonst in Florida gibt es Wasser und Wellen, und was haben wir?«
    Er hob nur fragend eine Augenbraue.
    »Alligatoren.«
    »Ein Raubtier von vielen.« Er zuckte mit den Achseln, nicht sonderlich beeindruckt. Dann legte er den fünften Gang ein, und der Wagen summte wie ein Tenor kurz vor dem Auftritt an der Met. »Das macht dich so wütend?«
    Ich ging der wahren Natur meiner Wut nach und landete wie vorprogrammiert bei meiner heiß geliebten Heimatstadt.
    »Ich bitte dich, das Kaff heißt Christmas!« Ich krempelte im Geiste die Ärmel hoch. Meine Florida-Tirade hatte ich blind drauf. »Wir sind für zwei Dinge berühmt. Erstens kriegen wir an Weihnachten jede Menge Post von Kindern – logo! Und zweitens stellen wir den größten Alligator der Welt zur Schau. Der Bursche heißt Swampy, ist sechzig Meter lang, und in seinem Bauch befindet sich ein Souvenirladen, der allen möglichen Scheiß wie Alligatorfleisch anbietet.« Ich versuchte meiner Stimme einen verruchten Klang zu geben. »Wenn du mich fragst, ist der Weihnachtsmann schon vor ewigen Zeiten aus Christmas geflohen.«
    »In der Tat?« Er lachte leise, und mir wurde ganz anders. Wer sagte heutzutage noch in der Tat ? »Ja, in der Tat.«
    »Annelise?«
    »Die meisten Leute nennen mich Drew.«
    »Das habe ich mitgekriegt.« Er warf mir einen Blick über den Rand seiner Designer-Sonnenbrille zu. »Annelise?«
    Die Art und Weise, in der er meinen Vornamen betonte, ließ mich unwillkürlich an den Begriff Todesstoß denken. Meine Brust war praktisch wund gescheuert vor Herzklopfen. »Ja?«
    »Du musst mir nichts vorspielen. Das finde ich einfallslos und unter deiner Würde. Du bist zu weit mehr fähig.«
    Seine Offenheit haute mich glatt um. »Dir kann man nicht so leicht imponieren, was?«
    »Du imponierst mir durchaus. Dein Gehabe weniger.«
    Gehabe. Irgendwo hatte er recht. Man konnte es Gehabe nennen. Vielleicht war es auch nur ein Schutzpanzer. Ich nannte es meine Bewältigungsstrategie . Das Dumme war nur, dass ich nicht mehr genau wusste, wie mein wahres Ich darunter aussah. Wie würde ich mich anhören? Wer würde ich sein?
    »Hey, was wird das?«, fragte ich, als er vom Gas ging und mit einem irren
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