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Isis

Isis

Titel: Isis
Autoren: Brigitte Riebe
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sind blind, verstehst du, vollkommen nutzlos. Wenn du deshalb gekommen bist, muss ich dich enttäuschen.«
    »Dann ihretwegen«, beharrte sie. »Tu es für meine Mutter.
    Du hast sie doch geliebt.«
    Der glühende Ball in meinem Inneren ließ Feuerfunken fliegen. »Was weißt du von Liebe? Nichts, gar nichts! Oder hast du schon am eigenen Leib erfahren, dass sie schnell und scharf ist? Brennend und verzehrend? Dass Liebe sogar vernichten kann?«
    »Und sie, sie muss dich auch geliebt haben«, fuhr sie fort, als habe sie meinen Ausbruch nicht gehört.
    »Woher weißt du das?«, flüsterte ich. »Hat sie es dir gesagt?«
    »Nicht, solange sie lebte. Aber ...«
    »Isis ist tot?«
    Wir alle sind Tiere, hatte Khay gesagt, als er die Gefahr schon spüren konnte, die uns schließlich alle vernichten sollte. Wir alle müssen sterben. Jeden Tag werden die Schatten länger.
    Ich fürchte mich, Meret, ich fürchte mich so sehr ...
    Er hatte Recht gehabt, mein Bruder Khay, der so leidenschaftlich gern gelebt hatte und so lange schon tot war.
    Ebenso wie Anu und wie ich soeben gehört hatte, auch Isis.
    Alle waren sie vor mir gegangen.
    ». drei Tage nach ihrem Begräbnis habe ich von ihr geträumt.« Die Stimme des Mädchens rief mich in die Gegenwart zurück. »Sie sagte deinen Namen, so warm und herzlich, und dass ich dich auf Philae finden könne. Seltsamerweise jedoch war Mutter in meinem Traum kein Mensch. Und was noch seltsamer war: Ich konnte sie genau verstehen, obwohl sie ein flatterndes Sperberweibchen .«
    »Schweig!«, verlangte ich heiser.
    »Nur wer sich schuldig fühlt, windet sich vor der Wahrheit.« Jetzt klang sie unerbittlich. »Du hast meine Mutter gekannt. Aber wer ist mein Vater, Meret? Was weißt du von ihm?«
    Anu, lag mir bereits auf der Zunge, mein Bruder Anu, der Mann deiner Mutter - wer sonst? Wieso sollte ich sie unnötig verwirren? Wo die Lüge doch die schnellste und einfachste Lösung war. Vielleicht würde ich sie damit endlich zum Schweigen bringen. Ich war schon beinahe so weit. Dann jedoch entdeckte ich die kleine bläuliche Ader, die aufgeregt an ihrem Hals pochte, genauso wie einst bei Isis.
    »Du willst es wirklich wissen?«, fragte ich leise.
    »Ich kann nicht anders.«
    »Dann komm morgen Abend wieder! Aber sieh dich vor, denn du wirst einiges ertragen müssen. Und du brauchst Ausdauer und Offenheit. Denn was du zu hören bekommst, wird dir unfassbar erscheinen. Ich warne dich: Danach ist nichts mehr wie bisher, Isis.«
    »Alles nehme ich auf mich«, sagte sie schnell, »wenn ich nur ...«
    »Geh!«, erwiderte ich.
     
    oooo
     
    Was konnte sie dafür, dass unsere Herzen damals vor Hunger brannten? Dass wir blindlings verstrickt waren und uns trotzdem unbesiegbar fühlten? Tod und Zeugung lassen sich nicht rückgängig machen, das hatte ich selbst gesagt. Vielleicht galt das auch für die Liebe, die alles fordert und nicht danach fragt, ob sie auch erwidert wird.
    Wie ich es auch drehte und wendete — ich besaß kein Recht, ihr die Wahrheit über den Vater zu verweigern. Die Seele der Himmelsgöttin besteht aus Tausenden von Sternen, so wird in unseren schönsten Hymnen das Lob der Isis besungen.
    Eine Isis aus Fleisch und Blut hatte ich vor Jahren verloren.
    Nun war wie durch ein Wunder ihre Tochter in mein Leben getreten.
    Waren das die Gesetze der Liebe?
    Ich war bereit, mich ihnen noch einmal zu unterwerfen. Ordnung würde mir helfen, klare Gedanken zu fassen. Deshalb war der Raum gefegt, die Decken auf dem Bett lagen sorgfältig gefaltet. Auf dem Tisch standen Brot und Früchte sowie Wasser- und Weinkrug. Maram, die keine überflüssige Frage stellte und meine Unruhe taktvoll überspielte, hatte sich mit dem Räuchern viel Mühe gegeben.
    Ich war gebadet, mein Haar geflochten. Ich legte sogar die silberne Kette mit dem Flügelamulett an, die ich Jahre nicht mehr getragen hatte. Noch immer fühlte ich mich zittrig, gerade diese körperliche Schwäche jedoch verlieh mir besondere geistige Klarheit.
    Als der Mond aufging, steigerte sich meine Unruhe, ähnlich wie einst, wenn die Visionen sich angekündigt hatten. Plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte.
    Ich zog das Tuch von der Statue und kniete einen Augenblick vor der Göttin nieder. Danach griff ich nach dem Steinmesser und schnitt meinen Zopf ab. Wie eine schwarzsilbrige Schlange ringelte er sich auf dem Lehmboden. Mein Kopf fühlte sich plötzlich ganz leicht an, befreit von einer Last; der Nacken war angenehm kühl.
    Mit
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