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Isis

Isis

Titel: Isis
Autoren: Brigitte Riebe
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weiß längst, weshalb. Auch wenn weder sie noch ich den Mut aufbringen, darüber zu reden.
    Das Wasser ist erfrischend, winzige Sonnenflecke tanzen auf der grünlichen Oberfläche. Ich liege flach auf dem Rücken; kurze Wellen laufen über meinen Bauch. Mit geschlossenen Augen lasse ich mich treiben. Stirn und Augen sinken immer tiefer ins Wasser, bis nur noch Mund und Nase zum Atmen frei sind. Auf einmal klingt das Quaken der Ochsenfrösche und das Rauschen des warmen Windes wie eine ferne Melodie. Alles ist köstlich: die heiße Sonne auf meinem Körper und die Kühle darunter. Ein Fisch berührt meine Schulter, ich erschrecke kurz, aber entspanne mich wieder.
    Plötzlich Rennen, Schreien, Spritzen - da sind sie, eine Schar Halbwüchsiger, die mir schon seit langem nachstellen. Alter als ich, grob und wild. Djedi ist darunter, und ein paar andere, vor denen ich mich fürchte, weil sie noch gemeiner sind als er. Sie zerfetzen mein Gewand, das am Ufer liegt, und lauern darauf, dass ich nackt aus dem Fluss kommen muss.
    Ich aber schwimme flussabwärts, so weit ich kann, angstvoll, außer Atem. Schließlich verstecke ich mich im Gebüsch, bis sie endlich die Lust verlieren und verschwinden. Mücken zerstechen meine Haut, mein Schädel brummt vor Durst und Hitze, aber sie dürfen mich nicht kriegen, niemals, weil sie sonst ...
    »Sind wir nicht alle Grabräuber, sobald wir uns anschicken, Türen zu öffnen, die andere aus gutem Grund geschlossen haben?« Ich zog meinen Arm zurück, befriedigt darüber, dass jetzt Djedi jäh nach Luft schnappen musste. »Außerdem bin ich müde«, fuhr ich fort. »Ich möchte schlafen.«
    Er ließ mich allein.
    Ich wusste, er würde seine Vermutungen weiterplaudern. Es gab im ganzen Tempelbezirk keinen schwatzhafteren Mann als ihn. Und so war es nach wenigen Tagen ausgerechnet er, der meine Ahnungen bestätigte: Die Fremde, die sich noch immer auf der Insel aufhielt, hieß tatsächlich Isis.
    Ich fühlte mich zu mutlos, um die Göttin anzurufen. Ich hatte Maram sogar gebeten, die Isis-Statue zu verhüllen, weil Ihr Anblick mir zum ersten Mal keinen Trost spendete.
    Aber Mauern allein können das Leben nicht aussperren. Und draußen hatte die Flut bereits eingesetzt. Der große Fluss sang von Veränderungen, vom ewigen Wechsel, den kein Sterblicher jemals aufzuhalten vermag.
     
    oooo
     
    Ich spürte ihre Anwesenheit, noch bevor ich sie sah. Plötzlich schämte ich mich, dass der Raum nach Krankheit und Schlaf roch.
    »Wieso bist du gekommen?«, fragte ich leise. Ein schneller Blick, dann Erleichterung. Das Laken verhüllte meinen verschwitzten Körper.
    »Ich tue, was ich tun muss.« Sie schwieg eine Weile. »Kann ich auf dich zählen?« Ohne zu fragen, hatte sie sich neben mein Bett gesetzt. Sie war dünn, von einer noch jugendlichen Schlaksigkeit, die ihr eine eigenwillige, fast jungenhafte Anmut verlieh. »Du warst sehr krank«, führ sie fort.
    »Meinetwegen?«
    »Heute ist kein guter Tag für Antworten. Außerdem erfordern manche Fragen zu komplizierte Erklärungen. Bitte geh!«
    Sie starrte gedankenverloren auf ihre Zehen: schmal, lang, makellos. Meine Prothese lag neben dem Bett, Seite an Seite mit dem scharfen Steinmesser, das ich immer in meiner Nähe hatte, und plötzlich schämte ich mich. Nichts an mir war vollkommen — nicht einmal die Füße. Ich spürte, wie mein Widerwille wuchs. Niemand konnte mich zwingen etwas preiszugeben. Selbst Isis nicht.
    »Aber ist das wirklich vorzuziehen?« Ein einschmeichelndes Flüstern. Vom wem hatte sie ihre Klugheit geerbt? »Ein Leben lang mit einem Wissen herumzulaufen, das nichts als Schmerzen bereitet? Wo doch Worte trösten und heilen können!«
    »Worte können aber auch gefährlicher als Steine sein«, entgegnete ich absichtlich barsch. »Hat man sie erst einmal geschleudert, verletzen sie. Oder töten sogar. Denn nichts von dem, was einmal gesagt wird, lässt sich jemals wieder rückgängig machen.«
    »Ach, es gibt nichts, was sich nicht rückgängig machen ließe«, entgegnete sie altklug.
    »Außer Zeugung und Tod.«
    Jetzt hatte ich sie getroffen. Ich sah, wie das Licht in ihren Augen erlosch, und hasste mich im gleichen Atemzug dafür.
    Schweigend starrten wir uns an.
    Schließlich drehte ich mein Gesicht zur Wand, als sei die Unterhaltung für mich beendet. Vielleicht hatte ich Glück und sie gab auf.
    »>Die Augen des Nil<«, begann sie erneut, »so hat man dich genannt .«
    »Das ist vorbei — lange schon! Meine Augen
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