Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Irrwege

Titel: Irrwege
Autoren: Margaret Weis , Tracy Hickman
Vom Netzwerk:
hörst die furchtbaren Laute, die dich geweckt haben,
und dann läufst du und läufst und läufst und weißt die ganze Zeit, es ist
hoffnungslos. Die Pranke, der Zahn, der Pfeil, das Feuer, der Sumpf, der
Abgrund – irgendeinem wirst du schließlich zum Opfer fallen.
    Unsere Kinder saugen die Angst mit der
Muttermilch ein. Unsere Kinder weinen nicht. Vom Augenblick der Geburt an lehrt
man sie, still zu sein – aus Angst. Unsere Kinder lachen auch nicht. Jeder
Laut könnte sie verraten. Du hast einen Sohn, berichtete man mir. Einen Sohn,
der lacht und weint. Einen Sohn, der dich ›Vater‹ nennt; einen Sohn, der
lächelt wie seine Mutter.«
    Ein Frösteln überlief Samahs Körper. Der Fürst
wußte nicht, welchen Nerv er getroffen hatte, doch er sah es voller Genugtuung.
    »Unsere Kinder kennen nur selten ihre Eltern.
Eine Gnade – eine der wenigen, die wir ihnen erweisen können. Es schmerzt
nicht so sehr, wenn sie sie tot finden. Oder zusehen müssen, wie sie sterben.«
    Xars Haß und die Wut drohten ihn zu ersticken.
Die gleiche Luft atmen zu müssen wie sein Widersacher war fast zu viel für ihn.
Der Pulsschlag hämmerte in seinen Schläfen, ein stählerner Ring legte sich um
seine Brust. Xar warf den Kopf zurück und stieß ein Heulen aus, ein Brüllen der
Wut und Qual, wie von einem wilden Tier.
    Der Aufschrei hallte grausig durch die Gänge und
Schächte der Katakomben, tausendfach verstärkt, als hätten die Untoten von
Abarrach ihn aufgegriffen und vereinten ihre furchtbaren Stimmen mit der des
Fürsten.
    Marit erbleichte und schrak gegen die
feuchtglänzende Mauer zurück. Auch Sang-drax blieb nicht unbeeindruckt. Das
rote Auge huschte suchend umher, spähte in den Schatten nach einem verborgenen
Feind.
    Samah erschauerte. Der Schrei hätte ein Speer
sein können, der seinen Körper durchbohrte. Er schloß die Augen.
    »Wenn ich dich nur nicht brauchte«, stieß Xar
zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Schaum quoll über seine Lippen.
»Wenn ich verzichten könnte auf die Geheimnisse, die du in deinem schwarzen Herzen
bewahrst. Dann würde ich dich ins Labyrinth bringen. Ich würde dich die
sterbenden Kinder im Arm halten lassen, wie ich sie gehalten habe. Ich würde
dich ihnen zuflüstern lassen, wie ich es getan habe: ›Alles wird gut. Bald hat
die Furcht ein Ende.‹ Und ich würde dich den Neid fühlen lassen, Samah! Den
Neid, wenn du in das tote, friedvolle Gesicht schaust und weißt, für dieses
Kind ist die Mühsal vorüber. Während für dich alles erst beginnt…«
    Xar atmete tief ein. Sein Zorn war verraucht. Er
verspürte eine große Erschöpfung, als hätte er Stunden mit einem starken
Gegner gerungen. Er taumelte wahrhaftig und mußte sich an die Wand der Zelle
lehnen.
    »Doch bedauerlicherweise brauche ich dich,
Samah. Ich brauche dich, um mir eine – Frage zu beantworten.« Xar wischte sich
mit dem Ärmel über den Mund. Er lächelte, ein freudloses, blasses Lächeln. »Ich
hoffe, ich hoffe wirklich, Samah, daß du dich entschließt, mir nicht zu
antworten!«
    Samah hob den Kopf. Die Augen waren eingesunken,
die Haut fahl. Er sah tatsächlich aus, als hätte ihn ein Speer durchbohrt. »Ich
verurteile dich nicht für deinen Haß. Wir wollten nie…« Er leckte sich über die
aufgesprungenen Lippen. »Das alles haben wir nicht gewollt. Das Labyrinth
sollte keine Todesfalle sein, sondern eine Prüfung… Verstehst du, was ich
meine?«
    Samah schaute Xar beschwörend an. »Eine Prüfung.
Das war alles. Eine harte Prüfung. Eine, die euch Demut lehren sollte, Geduld.
Eure Machtgelüste beschneiden…«
    »Uns schwächen«, warf Xar leise ein.
    »Ja.« Samah schlug die Augen nieder. »Euch schwächen.«
    »Ihr habt uns gefürchtet.«
    »Wir haben euch gefürchtet.«
    »Ihr hofftet, wir würden untergehen…«
    »Nein.« Samah schüttelte den Kopf.
    »Das Labyrinth wurde zur Verkörperung dieser
Hoffnung. Einer geheimen Hoffnung. Einer Hoffnung, die ihr euch nicht einmal
selbst einzugestehen wagtet. Doch es floß in die Zauberformeln ein, die das
Labyrinth erschufen. Und es war diese heimliche, furchtbare Hoffnung, die dem
Labyrinth seine zerstörerische Macht verlieh.«
    Samah antwortete nicht. Er saß mit hängendem
Kopf und gebeugten Schultern da, wie vorher.
    Xar stieß sich von der Wand ab. Vor Samah blieb
er stehen, legte die Hand um sein Kinn und zwang ihm den Kopf in den Nacken.
    Samah sträubte sich. Er umklammerte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher